Montag, 12. Februar 2007

was vom tage...

heute vormittag gab mir aykut, ein netter junge von lambda istanbul (endlich!) die zwei filme, die er bis jetzt im zusammenhang seiner arbeit da und dem studium an der boğazici gemacht hat: eine etwas ältere reportage von 20 minuten mit dem titel "travesti terörü" (bei 'uns' wäre dies ein lustiges motto zur selbstbefreiung à la tuntenterror, hier ist es eine ernst gemeinte, meinung bildende und meinung zusammenfassende schlagzeile einer großen zeitung; in deutschland wäre das wort terror selbst, sogar in der post-9/11-phase, noch immer etwas romantisch umhaucht eine metapher für eine kritische öffentlichkeit, hier ist es das ende allen spaßes, das totschlag-argument), sowie eine dokumentation zum letztjährigen, äußerst gewaltsam vereitelten pride march in bursa. letzterer lief im dezember schon auf dem akbank-kurzfilmfestival, ist aber im neuschnitt nun doppelt so lang. diesmal aber beide ohne untertitel, teilweise ganz schön schwierig deshalb. sah mir aus diesem grund heute mit einer freundin zusammen den ersten film an. zeigte sich dabei, dass das nicht nur wegen der sprache gut war, sondern auch wegen unzähliger anspielungen, namen etc. aus der türkischen zeitgeschichte, die ich so höchstens hätte hinnehmen können, zu ihnen ich durch ihre eifrige hilfe aber nun gezielt recherchieren kann.
erfreulich an diesem abend darüber hinaus: tatsächlich scheine ich es noch immer nicht geschafft zu haben, zum erfahrenen, abgeklärten medienzyniker zu werden, tatsächlich scheine ich mich dazu vielleicht sogar gar nicht zu eignen.
das traurige daran andererseits: so liefert man sich immer wieder einem medium aus, das oft nur scheinbar im plural auftritt, aber durch diese scheinbare pluralität überall schon vor einem war, und überall lauter, das behauptungen aufstellt, die so unglaublich frech sind, dass es einem vor wut die sprache verschlägt und das aus auf der hand liegenden gründen in der überwältigenden mehrheit wider besseres wissen und aus schlicht macchiavelli'schem kalkül nicht zulässt, dass andere ihm etwas entgegen setzen. wie eben ein solch kleiner film wie der von aykut zum beispiel es könnte, der neben aus abendnachrichten verschiedener tv-sender entnommenen ausschnitten vor allem aus interviews mit medienexperten, der soziologin pınar selek (diesen link lohnt es sich zu klicken!) und eben transen selbst besteht.
nun kann man mir gerne mit den diversesten (und teilweise auch abgedroschensten) argumenten kommen, um zu begründen, warum es kein wunder ist, dass die medien nun einmal auf diese weise hier über transen berichten: vor allem: "das kultur"-argument, die keule.
mediterrane
kultur. islamische kultur. 'traditionell' andere geschlechterrollen etceterapepeblabla. das will ich mir gerne alles anhören, und teilweise vielleicht sogar nach langer diskussion und mit gehörigen einschränkungen zustimmen.
aber: als post-nachkriegskind muss man mir nicht lange erklären, wozu ein sündenbock (türkisch sünah keçi) gut ist, noch wo die herkommen oder wie man die macht.
und da nun hat frau selek im film einen sehr schönen satz gesagt, der eigentlich jedem selbst sofort hätte einfallen müssen, der aber tatsächlich schlagartig den eigentlichen kern des problems zusammenfasst: die logische konsequenz einer von den öffentlichen medien gebrauchten virus- und säuberungs-metaphorik, sagt sie, (temizlemek, säubern, eine wunde zum beispiel) ist, dass man einen arzt braucht. und wenn ein land eine krankheit hat, dann ist der arzt eben die derzeitige legislative respektive deren ausführende hand (deren offizieller name, zumindest der einer spezialeinheit hier, übrigens allen ernstes "robokops" ist.)
und wenn es keine krankheit gibt, dann muss auch keiner zum doktor.
ergo: der staat braucht seine monster hier, seine von ihm in stillem einvernehmen mit den bildermachern selbst hergestellten schädlinge, um weiter als kammerjäger auftreten zu dürfen. ungezieferlexik, veit harlan winkt von nicht allzu ferne.
und dann? natürlich: jedes publikum holt sich ein bisschen die regierung und die unterhaltung, die es will und alles böse kommt von oben sagen ist auch etwas simpel und unfair, und dass die jungs, die neben einem im lokal zusammenklüngeln oder kellnern, sich kollektiv vor lachen nicht einkriegen, wenn draußen eine transe vorbeiläuft, spricht auch nicht gerade für viel eigeninitiative, wenn es darum ginge, einen oder eine andere zu verstehen. immer nur sagen, wir wussten's ja nicht besser, gilt hier nicht.
aber: wenn ein journalist, und infolge dessen eine ganze berufsgruppe nahezu geschlossen, und obwohl sie es bei jedem einsatz in der straße, bei jedem sichten der quellenlage, bei jedem gespräch, besser und umgekehrt gelernt haben, trotzdem noch die realität so präsentieren, dass jemand, der sich mit einem messer gegen keulen- und pistolenschwinger verteidigt, als der eigentliche aggressor rezipiert wird, dass jemand, der auf einer autobahnausfahrt wehrlos am boden liegend von einem taxifahrer mit einer eisenstange verprügelt wird, am ende derjenige ist, der in wirklichkeit vorher tätlich bedroht haben soll, dann ist eben auch eine ganze berufsgruppe in diesem falle als schlichtweg kriminell einzustufen.
und das hat dann mit kultur aber auch rein gar nichts zu tun. transphobie ist nichts, dass einen kulturgeschichtlich unwandelbaren charakterzug darstellt, nichts wofür ein land ein anderes als "barbarisch" schmähen kann und nichts, hinter dem sich dieses land selbst als einer "ureigenen tradition" verstecken darf - sie ist ein gemachtes image, das sich manche aneignen, manche nicht. und das manche, obwohl sie es sich nicht aneignen, doch auch nicht zu korrigieren gewillt sind, wenn eine transsexuelle, die lediglich durch eine straße gehen will, von anwohnern daran gehindert wird. das würde mut erfordern und das könnte kompliziert werden. da käme also ein lebendes beispiel von dem, was so fürchterlich sein soll und man müsste eigentlich nur hinsehen - aber sein image war schon vor ihm da und über das hat er selbst keine große kontrolle und was sollen die nachbarn denken.

und so geben sich hierbei das private und das staatliche fernsehen in bestem einverständnis die hand: denn was dem staat seine feinde (natürlich: es gibt auch unter den reportern ausnahmen und die werden vor laufender kamera von einem ausser kontrolle geratenen polizisten auch so angebrüllt: bist du denn ein staatsfeind, verdammt?) - sind dem privat seine freaks: jeder weiß das, was normal ist, kauft doch keiner. und wenn man also ein faker im fummel ist, der sich im abendprogramm aller kanäle stellvertretend für eine spezies, zu der man eigentlich gar nicht gehört, lächerlich macht - oder wenn man als transsexueller vielleicht etwas gar naiv ist im umgang mit presse & funk, dann freut sich das medium und klatscht in die hände. wieder einen im sack: schaut her, wahlweise verdorben oder gefährlich, amüsiert euch und ansonsten seid dankbar, dass wir euch vor solchen beschützen. heine sagt, wo bücher brennen, brennen am ende auch menschen. dass "bücher" selbst oft am anfang der brandstifterkette stehen aber...
und so gibt es das alles ja anderswo auch: unsere profizyniker der devise verwurst was du kannst, bei denen man vor lauter verachtung gar nicht weiß, wohin damit, heißen wahlweise bärbel schäfer oder jerry springer.
aber denen tritt immerhin eine kritische öffentlichkeit entgegen im besten falle, d.h. in der regel. und die nimmt man deshalb auf breiter basis nicht ernst und auf jeden peinlichen negativzwischenfall kommt zum ausgleich ja auch 'unter uns' gleich der gute schwule, der alle versteht und in markenjeans für den frieden wirbt. diesen jungen mann, das habe ich mittlerweile gelernt, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. denn hier gibt es ihn nicht.
hier tritt dem monster im fernsehen niemand entgegen und eine domptierte öffentlichkeit ist dem staat deshalb dankbar dafür, dass es ihn selbst noch gibt. bleiben sie dran. menschen, tiere, sensationen - drei dinge in einem, das geht nun wirklich nicht. dachten Sie. hoffte ich.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

diese dokumentation von bursa würde ich wirklich ungemein gerne sehen!

Wenn du nach Berlin kommst musst Du sie mir mal zukommen lassen, dann würde ich sie digitalisieren wollen. Und vielleicht auch untertiteln... Wobei mein türkisch für diesen zweck jedoch völlig unzureichend wäre.

mq hat gesagt…

wird mitgebracht :-)
aber dann könnte es sogar vielleicht schon sein, dass jemand bei gladt den film travesti terörü hat, weil ja von denen auch ab und zu mal der oder die eine oder andere hier vorbeikommt. auf wirklich kompetente bilinguale in beiden sprachen freue ich mich aber auch schon.