Donnerstag, 22. Februar 2007

"erdlinge" - oder die kuh, die nichts zu lachen hat.

earthlings. humanitarian award auf dem san diego film festival.

und es gäbe viel an diesem film zu nörgeln.
die musik, die weinerliche männerstimme, die metaphorik, die terminologie: rassismus, sexismus - aber das schlimmste von allem > spezismus. der mensch macht die anderen arten zum tier. was tatsächlich heisst: er gesteht tieren kein empfinden zu und sich nicht ein, dass er selbst eines ist.
wäre das fürs schwein nicht gemein, wäre der mensch ein schwein.

und ich mag es auch ganz und gar nicht, wenn filme und aktivistInnen, egal ob für tierrechte oder abtreibungsgegner, die holocaust-analogie bemühen, wie erdlinge zur einleitung (gesprochen von joaquin phoenix) es mal wieder tat. für mich stellt das immer noch eine unglaubliche, die ebenen vermischende propagandakeule dar, die beiden seiten nicht gerecht wird.
das aber gesagt habend: wieso bemühen filme wie dieser solche sprachbilder immer, wieso eine solch hollywoodlastige musik um zu emotionalisieren, wieso denken die macher dieses films nicht, dass die mächtigen bilder aus allen bereichen der tiermisshandlung, die sie im film anführen, allein nicht ausreichen, um zu mobilisieren - wieso dieser eifernde missionarismus?
oder kurz und knapp anders: wieso esse ich immer noch fleisch, wenn auch nicht viel und obwohl ich mir immer mal wieder ein schlechtes gewissen dazu leiste? wieso denkt ein film wie dieser, solche gefühlsaufwühlenden mechanismen benutzen zu müssen, um leute auch wie mich zu erreichen?
da ich hier laut über etwas überindividuelles nachzudenken versuche, geht es mir dabei auch nicht frei nach de quincey um die confessions of a german schnitzel eater, sondern darum, wieso dieses system uns allen so freundlich und bunt daher kommt, so in alle bereiche des lebens eingebunden, so in allen kulturen seit alters her zu finden und mit den tollsten gewürzen von kindheit auf die geschmacksnerven prägend, dass es ganz einfach ausser frage steht, dagegen zu sein, wie dieser film es fordert. es sei denn eben als individuelle vorliebe, die der kapitalismus akzeptieren kann, weil auch diese sich vermarkten lässt, und die andere akzeptieren können, wie sie eben auch akzeptieren können, dass jemand keine schokolade mag. ist ja dann doch sein oder ihr problem.
ich zum beispiel bin kein echter raucher: ich rauche zwar recht viel mit anderen und wenn ich ausgehe, aber wenn keine zigaretten da sind, dann sind eben keine da. nach kant aber wäre das nicht unbedingt eine große tugendhafte leistung von mir.
eine andere freundin von mir nunist vegetarierin, weil sie sowieso kein fleisch und keinen fisch mag. aber zum beispiel diese spezielle "abneigung" nun auch philosophisch zu untermauern, und diese auch vor der familie und am bayramfest durchzusetzen - das ist eine ganz andere leistung gewesen. fleisch ist überall, dies ist unser höchster feiertag und wer bist du, dass du nein sagst.

hier redet, wie gesagt, ein bekennender fleischesser. einer, der zuhause, d.h. bei seinen näheren vegetarierfreunden so gut wie nie unvegetarisch isst, aber als wahrheitsfanatiker dieses gebot sogar da absichtlich bricht, weil es ihm verlogen vorkäme, vor seinen bekannten das letztlich vom geschmack her doch sehr geliebte tote tier nicht zu essen, anderswo aber dann ab und an heimlich. auf die gefahr hin, dass sie dann sauer auf ihn sind.
und so hatte ich nach dem film eben auch eine diskussion mit einer sehr guten freundin, die diese meat is murder, und sogar genocide these auch vertritt, und vor der ich eins zwei mal bewusst köfte aß, weil ich es nicht mag, wenn man mich moralisierend in die gewissensecke drängt. das erwähnte sie heute noch mal: wie wütend sie da auf mich gewesen sei, und eigentlich hätte aufstehen und gehen wollen; dass sie auch wusste, dass ich es als trotzreaktion tat.
"wie ein kleinkind!"
das mag auch tatsächlich kindisch gewesen sein als reaktion, da hat sie recht.
aber es gibt eben seit einiger zeit in meinem leben vielleicht zwei maximen, an die ich wirklich versucht habe, mich zu halten. die eine ist von andré gide und sagt: "lieber gehasst werden für das, was man ist, als geliebt werden für das, was man nicht ist." die andere durchzieht dostojevskis ganzes werk: wenn man sich nicht bewusst dazu entscheiden kann, etwas falsches zu tun, dann ist die ganze idee der freiheit nichts wert. d.h. wenn ich merke, dass ich etwas nur mache, weil jemand anderer das von mir erwartet und er die moralische entscheidung darüber mir nicht mehr überlässt, dann mache ich manchmal lieber das gegenteil. die lektüre des großinquisitors hat wohl gesessen.
in der konsequenz aber kann dieses verhalten tatsächlich ins kindische führen!
und den widerspruch, den ich mit mir selbst austrage, wenn "plötzlich" schon wieder eine chorizo vor mir liegt, hebt das durchaus nicht auf. besser fühle ich mich dadurch auch nicht.
aber andere essen es ja auch und denen schmeckt es ja auch und dann klopfen wir uns eben beschwichtigend auf die schulter und ruhe kinder, jetzt wird aber mal gegessen.
dass nun ein teil meiner verwandten beispielsweise, darunter extrem christliche menschen, den marsch der pinguine mit tränenenden augen sahen (einen film, den ich verachtete, weil er tiere in schlümpfe verwandelt, alberne gefühlsduselige sachen sagen lässt und verplüschisiert), ändert überhaupt nichts daran, dass noch am selben abend beim familienessen ein gewichtiger hirtentopf auf den tisch gestellt wird, bei dem der hirte für lamm steht. und insofern ist der vergleich zum holocaust in einer hinsicht tatsächlich gerechtfertigt, dieser sogenannter "spezismus": in der nämlich des systematischen wegsehens. wenn man sich nicht selbst an einer schlachtung (die ja noch fast menschlich ist) beteiligt, dann eben mit hübscheren bildern und vorzeigebeispielen willentlich übersehen wollen, dass andere, nämlich die geschlachteten, darunter leiden. und das wird tatsächlich eine immer größere bewundernswert schizophrene leistung des postfordistischen menschen. (wie gesagt: ich denke laut hier. sobald man dieses thema nämlich auf den tisch bringt, gerät man schnell in den unangenehmen ruf des moralpredigers, und um nicht anzuecken, stößt man auf, und ein tabu wird weitergenährt. dabei fällt mir auf, dass es recht betrachtet tatsächlich noch tabuthemen gibt bei uns. sex gehört selbstredend nur sehr bedingt dazu.)
nur dass dieses (aber dazu weiss ich selbst noch viel zu wenig) ein viel älteres kulturprodukt ist als das des rassismus oder sexismus. der mensch hat das tier ja schon immer benutzt und das scheint deshalb ganz natürlich.
diese natürlichnatürlich-diskurse, die sich so vielfach überlagern, überlappen, fangen aber an, mich immer mehr zu interessieren. vom bösen wolf in den märchen bis zur kuh die lacht auf der milch.
ronald mcdonald mag ein feind der antiglobalisierer sein. die wenigsten greifen den lachenden clown als einen der größten tierquäler der welt an.
darüber hinaus gibt es auch genderkonnotierte aspekte, die mich am vegetarierimage immer mehr interessieren (ehrlich gesagt, gerade hier in der türkei, wo es tatsächlich, das fiel mir aber erst durch türkische freunde auf, schwer ist, fleischfrei zu normalen preisen zu essen): meistens unausgesprochen, aber dennoch spürbar, schwingt im image des vegetariertums auch ein gut stück gefühlsduselei mit, gutmenschentum, der-harten-realität-nicht-gerecht-werden - kurz, oft etwas als "weiblich" gesetztes, und mindestens hinter der hand bespötteltes. (auf den selbsttest in lokalen, mal nicht einfach nur "bitte ein reisgericht", sondern explizit "haben sie denn auch fleischfrei?" selbst beobachtet.)
mit diesem aspekt konkurrierend und verschwistert gibt es auch ein eindeutiges schichtengefälle sobald es um die wurst geht, das für mich wirklich überhaupt nicht unwichtig ist: bekanntermaßen ist vegetarismus zumindest im westen (dass es im buddhismus auch so ist, habe ich eben erst gelernt) vermehrt von der mittelschicht bzw vom bildungsbürgertum aufwärts zu verzeichnen und durchaus ein sozialer marker, der mir als solcher gar nicht gefällt. da sagt der working class hero, was soll an meinem eintopf denn schlecht sein, du klugscheisser, der hat mir schon immer geschmeckt und der adrette tennisheini schüttelt von oben herab den kopf über den fettsack auf dem weg in die sauna.
und so gibt es verschiedene positionen zur fleischfreien ernährung, von der extrem einen, die dies besorgt als verweichlichung betrachtet, zur extrem anderen des marktes, die eine solche kritische stimme durchaus verdauen und mitverwursten kann, da sie sie als kleinen individuellen ausdruck eigenen geschmacks in der kakophonie dominierender geschmäcker zurückschrumpft zu einem der vielen möglichen lebensstile, und sich beglückwünschen kann, plurales denken zu erlauben.

weitere beobachtung zum kommentar einer freundin, wieder der selben: 'und da gingen wir noch vor ein paar jahren zu einem fest von irak-kriegsgegnern, die gegen das sterben und leiden der menschen da waren - und an jedem ihrer stände gab es ausschliesslich fleisch. ja denken die denn gar nicht nach?'
ihr entgegenhalten wollen, das lasse sich doch nicht vergleichen. da sterben menschen aufgrund kriegstreiberischer interessen und hier essen friedliche pazifisten ihre gerichte, wie sie es seit jeher, seit generationen und abergenerationen taten. das kann man ihnen doch nicht so radikal vorwerfen, mein gott!
aber vielleicht ist dieser punkt ja gerade ein extrem wichtiger (und diskursiv von den wurstverkäufern extrem ausschlachtbar): traditionen. mythen. romane. märchenfilmebilder. moby dick und gargantua, der allesfresser. die haute cuisine francaise. tom sawyer, der am fluss sitzt, lacht und fischt, ja hat er das denn nicht schon immer gemacht.
wir machen ein fest, um alle ethnien der türkei zu präsentieren, ihre lieder, ihre kleider, ihre gerichte. ist es denn nicht was schönes, vom andern zu lernen.
und da lud man mich zum Aïd el-Kebir mit an den tisch und ist das nicht eine große ehre, wie dürfte ich mir da nörgeln anmaßen. und die weihnachtsgans auf dem tisch und die kerzen leuchten so helle. und die foie gras verkauft sich in bleu-blanc-rouge. essen ist eine höchst politische angelegenheit, das können die tiere nicht wissen. und der herr, der ja aber auch selbst ein fisch ist, verteilte sieben brote und zwei fische und alle wurden satt.
so überlagern uralte und ständig neu geschriebene, sich widersprechende, aber im kern das selbe sagende diskurse die metzgerei, und auch die metzgerei ist nur ein rührendes bild für etwas, an das letztendlich keiner rühren will. daran, dass die metzgerei eben selbst nur ein schönes bild ist aus einer vergangenen romantisch-traditionellen traumfabrik. tiere sterben nicht auf solch familiäre weise und in so kleinem umfang, wie dieses bild es noch immer effektiv suggeriert - aus eigener schlachtung.

dass hinter dieser abgehobenen diskussion mit traditionellen argumenten, haben tiere rechte und welche, ganz andere bilder stecken, von flächendeckender tierquälerei, wie sie immer mehr nicht ab sondern zunimmt, sich potenziert, das lässt man nur in den seltensten fällen wirklich an sich ran. oder es bleibt im privaten, wo es gut aufgehoben ist.

mal sehen wie lange diesmal bei mir...

die schreckensbilder habe ich ja erstmal wieder brav mitgenommen, gegessen habe ich auch schon und soweit ich weiss, ist auch das wurstpaket ("das ist eine spezialität aus meiner region") der mitbewohnerin schon aufgegessen. frei nach kant kann ich bis jetzt also nur vom glück reden.

und wenn ich tatsächlich wieder schwächeln sollte, und wieder zurück zum alten trott: na, jetzt leben wir im 21. jahrhundert in immer größeren städten, in immer abgehobeneren sozialen gefügen, selbst wenn ihr drei mal die woche auf den biobazar geht, wo kommen immer noch die millionen liter milch her in istanbul, an denen ihr mittrinkt, wo die unzählbaren eier? sollen alle diese leute etwa am wochenende zum großeinkauf auf den freilandhof fahren? tja, damit hätte ich einen fiesen, billigen trumpf im ärmel, den auch wieder jeder schon kennt, auf den es aber immerhin nicht leicht ist zu kontern - und könnte wieder selbstzufrieden lächeln. seht ihr, eine rundumlösung gibt es nicht, und so lange eben: guten appetit..?

ps: wie ich aber ganz ehrlich gerade zum ersten mal in aller ausführlichkeit gelesen habe, wären auch diese argumente hinfällig und mir müsste das lachen im hals stecken bleiben.

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