Mittwoch, 28. Februar 2007

bezeichnendes und bezeichnetes

eben durch den neuesten letter von gladt darauf aufmerksam gemacht worden: in berlin hat man also eine jüdische kita abzufackeln versucht. 'nein, das ist nicht deutschland' denken wollen und wissen, dass es nicht stimmt.

interessant aber die gesamte diskussion dazu unter dem oben angeführten tagesspiegel-artikel, die sich neben der allgemeinen verurteilung im grossen und ganzen darum dreht, dass der antisemitismus nicht mehr einzig und allein in der arischen glatzendenke zu finden ist, sondern sich aus vielen verschiedenen quellen speist...und ist dann antisemitismus von antiisrealismus wirklich noch so scharf zu trennen?
Ein tagesspiegelleser versucht das problem ethymologisch und ethnolinguistisch zu lösen: 'kann ein sprecher einer sprachfamilie einen diskriminierenden hass auf diese selbe sprachfamilie haben?', so er.
aber antisemitismus heisst eben nicht, dass man alles 'semitische' hasst. und er erklaert sich auch überhaupt nicht linguistisch! deswegen, da hat der kommentator unten recht, ist der begriff 'antisemitismus' selbst insgesamt ein aeusserst, auesserst unscharfer, da er nur den hass auf eine bestimmte (eine) semitische (sprache sprechende) gruppe bezeichnet (ganz nebenbei: wenn nicht gerade in israel selbst, wo sprechen dann juden eigentlich hauptsaechlich 'semitisch'??). dass wir jetzt also seit gut 150 jahren einen solch unrichtigen begriff weiter verwenden, ist dabei an sich schon bedenklich.
aber dass deshalb das, wofür er steht, naemlich ein pauschaler, projektiver rassismus, sich bei anderen 'semiten' und 'nicht-semiten' grossartig vom inhalt her unterscheidet, glaube ich ehrlich gesagt überhaupt nicht.

Antisemitisch?

Arabischstämmige Migranten gehören meist selbst der Sprachgruppe der Semiten an, somit können sie nicht antisemitisch sein, genauso wenig, wie ein Sachse antideutsch ist. Einige Semiten können jedoch sehr wohl antiisraelisch oder antijüdisch eingestellt sein und dementsprechend agieren, wie das politische Geschehen in den Nahen Osten, den Iran, aber auch zahlreiche Prediger in unseren Moscheen beweist.

Dienstag, 27. Februar 2007

"kurtuluş savaşı"!

erinnerungsstütze für mich selbst: die türkei 'verstehen'. diskurse 'verstehen'. erst ganz langsam entdecken dabei, dass das militaer vielleicht gar nicht das wichtigste thema ist - dass dahinter noch ein anderes, aelteres steht: kurtuluş savaşı: der befreiungskrieg. das trauma. dies ohne jede ironie erstmal zu begreifen versuchen. (wie den amselfeldmythos auf einer der gegenseiten!?). das vergewaltigte land. (natürlich, 'mann' sein heisst bekanntlich auch einen feind brauchen, denn wenn es den nicht gibt, gegen wen verteidigt man dann die seinen, was man ja muss als so einer, und so ist ein scheinbar laengst veralteter diskurs so alt manchmal gar nicht. wieso wird die faschistoide tv serie tal der wölfe hier plötzlich verboten, wenn sie doch so erfolgreich ist, wenn doch so viele kids spaeter wie der hauptdarsteller sein wollen: irgendwas beschützen eben...)
- 'die europaeischen grossmaechte haetten unser land fast gefressen'. draussen ist feindlich. gross waren wir und von den osmanen blieb nichts. diese praerebublikgeschichte selbst ein traumatisches loch, und aus diesem ein riesiger 'selbstschutzreflex', medial und schulisch weitergenaehrt. dass letzten endes fast alle feindbilder, alle verteidigungsdiskurse sich aus diesem nicht verarbeiteten geschichtsloch speisen. habachtstellung.
dass es den krieg gab, ist bekannt, kann hier auch gar nicht übersehen werden - seine bedeutung aber ist mir eben gerade im gespraech, vor allem nach der wochenendkonferenz, vielleicht zum ersten mal so richtig gedaemmert, zum ersten mal wie eine schuppe in den mund gefallen.
so, weiter im gespraech... :)
what is a war crime?/: the rome treaty.

serbien atmet auf

"It is good that, in the end, the highest tribunal in the world has closed that page and I hope this will help the final reconciliation of the peoples of the Balkans"
Javier Solana
EU foreign policy chief

...auch dies eine der vielen möglichkeiten des coming to terms with the past: strich drunter? das wäre vielleicht gar zu polemisch, aber bleibt, dass die nichtserbischen seiten den richtsspruch mit ganz anderen emotionen aufnahmen, bleibt auch, dass einige serben hierin eine totalamnestie gesehen haben wollen. zwiespältig. realpolitik.

Montag, 26. Februar 2007

rätsel.

wenn man sein praktikumszeugnis auf englisch selbst schreibt, um seinen kollegen arbeiten zu erleichtern, von denen man noch immer nicht ganz verstanden hat, was sie sind, und dieses dann zur bestätigung einreichen geht, wenn man daraufhin einer freundin auf der arbeit, um dieser einen gefallen zu tun, verspricht, sich am freitag vor der abfahrt auf einem gelände zu treffen, auf dem diese eigentlich seit einer woche gar nicht mehr sein dürften, wie man dachte, mit den projektkoordinatoren zu besprechen, wie man an einem projekt weiterhelfen könnte, von dem man andererseits bis jetzt auch noch nicht ganz verstanden hat, was es denn ist und ob es dessen weiterentwicklung in zukunft noch geben wird - was ist man dann?

tipp: der verfasser selbst weiss die antwort auch nicht. es gibt für einen lösungsvorschlag keinen einsendeschluss und auch eigentlich keinen preis zu gewinnen :)

el condor pasa

when you'd rather be a hammer than a nail: operation condor.

kindergeschichte, über fuckingqueers gefunden.


eine schöne geschichte - und warum sollte man menschen unter 10 auch die wirklichkeit so kompliziert erzählen wollen, wie man es bei heteros ja auch nicht tut.

the anti-orientalist

eine gute lektüre.


Sonntag, 25. Februar 2007

bubble. hm, so schade, dass der titel passte.

schade, und obwohl ich nach fox' letztem film doch schon leicht skeptisch war, habe ich mir dennoch wirklich gewünscht, dieser möge der gute sein, ich war auch tatsächlich drauf und dran zu sagen, es sei der beste film, den er bis jetzt gemacht hat, besser als yossi und jagger, definitiv besser als walking on water, und er hätte es auch werden können: man verliebt sich schon am anfang des films in fast alle wichtigen figuren, vor allem in ashraf und noam, das männliche paar im mittelpunkt, fox hat auch ein definitives talent dafür, dinge mit großer leichtigkeit zu skizzieren, blicke, wortwechsel, vor zärtlichkeiten und expliziter erotik scheut er auf eine wunderbar unverkrampfte weise auch nicht zurück und bubble war mit und lange nach le temps qui reste auch der homosexuellste film, den ich in einem istanbuler kino gesehen habe (was allein schon eine schöne, sagen wir: interessante erfahrung war; dvd wird einfach nie dasselbe sein wie ein saal voller leute). darüber hinaus muss man dem regisseur auch ganz bestimmt zugestehen, soweit er es konnte, jede art schwarzweiss-gutböse-malerei zu umgehen versucht zu haben. man sieht die harschen grenzsoldaten sowie den kaum unterschwellig zu nennenden rassismus der einen seite, man erfährt, dass das haus von ashrafs familie, als er klein war grundlos zerstört wurde, man sieht aber auch die stadtbevölkerung, die die kids, die für eine "rave against the occupation" werben, angreifen und fragen, ob denen denn schon mal das bein eines achtjährigen ins gesicht geflogen sei, weil sich jemand im selben bus hochgesprengt hatte. man sieht die waffen auf beiden seiten, die diese benutzende aggressoren auch - und dazwischen eine jugend, die eigentlich gerne unpolitisch wäre und feiern würde (bzw es in tel aviv auch ausgiebig tut, in gazah träumt man nur davon zu verwandten nach london zu gehen), aber der politik letzten endes nicht entkommt.
man sieht zwar ein schrilleres, bunteres, westlicheres nicht israel, sondern tel aviv, und einen nicht so neonfarbenen gaza, was sich von selbst versteht - aber auch da werden einem (fast bis zum schluss) normale menschen gezeigt, die feiern, englisch sprechen, die letzten endes nicht so viel anders sind als drüben. (hochzeit gefeiert wird, wenn man dem film glauben darf übrigens ganz wie in thrakien :-)
und all das, die grenze, die beiden seiten, die sich absolut unversöhnlich konfrontierenden parteien, hält nach fox' film nur eines zusammen, die liebe, das reine, das wunderbare: romeo und julius. und man geht ein ganzes stück des films mit ihm mit. denn ganz so unglaublich ist das ja nicht. tatsächlich hört man ja selbst von solchen beziehungen gerade in der tel aviver club kultur und wieso auch nicht. an den schauspielern jedenfalls zweifelt man nicht einen moment. wenn auch die beiden seiten einer schwulen beziehung gegenüber keine symmetrischen reaktionen zeigen können, der film kann gar nicht anders als die westliche gay scene als etablierter in tel aviv zu präsentieren als in gaza und der film hat eine seiner prekärsten momente auch, wo sich die beiden zusammen das theaterstück bend ansehen, wo nur ashraf wirklich nachvollziehen kann, dass zwei schwule kz-insassen einen geheimcode für ihre liebe entwickeln müssen - aber diejenigen, die von ashrafs sexualität auf seiten seiner familie erfahren, werden auch nicht einfach als reaktionäre gezeigt, die dies lautstark verdammen.

dann aber die letzten zehn minuten, nachdem alles eigentlich soweit ein wirklich schöner film war, ein plädoyer für den frieden mit einer schwulen liebe als ihrer botschafterin - wird alles schlagartig so grauenvoll total stereotyp: ashraf, ein mensch, der mich vorher wirklich interessiert hat, von dem ich wissen wollte, woher er kam und was aus ihm wird, begeht eine ihrer konstruiertheit, eine von mir absoluten nichtnachvollziehbarkeit wegen grauenvolle tat (wer wissen will, was, ohne den film deshalb zu sehen, lese hier, da dachte jemand fast ganz genauso wie ich), und fox erlaubt sich kurz darauf obendrein auch noch einen stilistisch derart effekthascherischen griff in die kitschkiste, dass diese noch den rest jedes sinnes mit sich ins grab nahm.
und so dehnte sich der titel, der eigentlich nur als metapher für das unbeschwerte leben der großstädter diente, unfreiwillig auf den ganzen film aus: bubble. plopp. was bleibt ist das gefühl, der regisseur habe mir eine colalight für eine gute sache verkaufen wollen. womit das publikum (das alles, schwulen sex vor allem, bravourös konsumierte), dem applaus nach offensichtlich gut umgehen konnte. ich leider nicht.

und beim nachhausekommen dann fassungslose gesichter vor einem louis de funès film, den ich vor ein paar monaten eigentlich nur aus einer kindheitslaune mal auf den computer holte... :)

Samstag, 24. Februar 2007

having stated the above, um zum thema zu kommen.

für eine türkische freundin, deren meinung zu
vielem mir heute sehr wichtig gewesen wäre,
die aber wegen grippe sehr früh ging.
leider spricht sie kein deutsch.


tatsächlich habe ich den kopf noch so voller spannender fragen, neu erfahrener themen und ansätze, denen es nachzugehen gälte, allen sprecherInnen und ihren ansätzen mit einer kurzen zusammenfassung gerecht zu werden, dass es recht schwer ist, alle notizen hier gleich zu einem konzisen und restlosen resumé zusammenzuführen. was solls.

wie gesagt, der englische titel der heutigen konferenz war: From the Burden of the Past to Societal Peace and Democracy/Coming to Terms with the Past.
viele nahmen an, erst recht nach der ermordung hrant dinks, dass dieses nun eine konferenz zuallererst über den genozid an den armeniern werden sollte. und tatsächlich war dieser auch, von manchen bei diesem namen genannt, von manchen nicht, der immer wieder angeschnittene bezugspunkt.
aber er war es eben zu einem gewissen grad auch wieder nicht, und ganz bestimmt war er als solcher nicht im titel der konferenz erwähnt.
das hat verschiedene wichtige gründe: der erste ist ein ganz praktischer: bis heute ließe der staat (d.h. die jeweilige regierung) es schlicht nicht zu, eine konferenz in der türkei so zu benennen. ob das so bleiben wird?
der zweite jedoch ist ein sehr viel entscheidenderer, und der hat sehr viel mehr mit dem, was ich in dem eintrag vorher ansprach, zu tun: es ist einfach ungeheur schwierig, dinge zu benennen, wenn man sich nicht klar darüber ist, wer zu wem spricht, sprechen soll, weil es von wem anderen verlangt wird. people have the power, singt patti smith in altoptimistischer spontimanier, aber wer sind diese leute?
dass gesprochen werden muss, darüber waren sich heute alle einig - aber worüber genau und auf welche weise, von welche perspektive, darüber gab es jedoch erstmal nur die verschiedensten ansätze zu erhorchen: von türken, deutschen, einem französischen professor osmanischer geschichte in brüssel, einem österreicher, einem südafrikanischen berater der truth comission, aus den bereichen internationalen rechts, der philosophie, der geschichte, der konfliktarbeit, mit beispielen, neben den einsamen, traurigen 'leuchttürmen' des armenischen und des deutschen völkermordes, aus so vielen anderen ländern, so vielen verschiedenen bewältigungsversuchen oder auch nicht (südafrika, ruanda, uganda, chile, argentinien, libanon etc., andere bezugsländer waren spanien, portugal, polen und russland, israel und die westbank), dass es eine ziemlich verbindungslinienöffnende debatte wurde.
weg vom eurozentrismus auch bei diesem thema könnte einer ihrer leitfäden genannt werden.

ein zweiter, und dieser auch von ulrike dufner in ihrem vorwort zum begleitbuch deutlich ausgesprochen: eine diskussion anregen, indem man ein scheinbares thema explizit nicht zum thema macht.
hierzu vielleicht eine vorabbemerkung, die mir persönlich nicht ganz so sinnlos scheint:

bezeichnenderweise, und wie es mich ehrlich gesagt sehr freute, war es eine deutsche (den grünen zuzuordnende) NRO, die diese konferenz hier in der türkei mit türkischen intellektuellen zusammen planen wollte und organisierte. bezeichnenderweise hielt deren hiesige leiterin, ulrike dufner, die begrüßungsrede in einem guten, aber eben gelernten türkisch. etwas sehr schönes meiner meinung nach. alle anderen sprachen englisch oder türkisch als muttersprache .
bezeichnenderweise sage ich deshalb, da es auch andere europäische institutionen hier gibt, die gute arbeit leisten, viele französische zum beispiel.
wieso nun organisierte gerade eine französische institution nun gerade eine konferenz zu diesem thema nicht. sicher, spekulation könnte man meinen. seit ségolène royale in frankreich in einer großen selbstverständlichkeit das gesetz gegen die leugnung des armenier-genozides durchbrachte, ist das institut francais hier übrigens permanent von polizei geschützt vor wütenden nationalisten.
ich meine tatsächlich, eine institution anderer herkunft, also nicht-deutscher, hätte nicht unbedingt nicht das recht, aber vielleicht eben eher nicht die (gelebte) erfahrung gehabt, ein solches thema hier sensibel anzubringen, als eben eine, deren land den bekanntesten völkermord der weltgeschichte auf dem gewissen hat (und das hat es eben - dass der begriff genozid aber tatsächlich vorher schon für eben den an den armeniern geprägt wurde, ist sehr viel weniger bekannt. nur ein land, das selbst weiss, bzw. immer noch zu wissen versucht, was es heißt, für ein solches verbrechen verantwortlich zu sein, kann vielleicht auch, wenn es das sensibel angeht, und nicht etwa feixt: ha, du also auch!, einen dialog hierzu bei einem anderen land mit anregen.
die vorstellung, dass frankreich das könnt - diese vorstellung ist tatsächlich etwas abwegig für mich.

und so war denn auch tatsächlich noch vor dem "g-word" (an den armeniern), wie ihn pieter lagrou in einer äußerst riskanten ironisierung umschrieb, der häufigste ausgangs- und bezugspunkt aller anderen verbrechen gegen die menschheit, auf den immer wieder referiert wurde, eben auschwitz. spannend an der debatte war aber in sehr vieler hinsicht nun folgendes: nicht, um den einen (holocaust) in einem land bereits anerkannten völkermord zu schmälern, nicht um den anderen, noch bevor er von dem anderen land akzeptiert wurde, zu banalisieren (den ~1915), versuchten doch alle referentInnen mit allen beispielen, die gesamte um diese kreisende debatte zu dynamisieren, auszuweiten, mit jenen zu kombinieren und interagieren zu lassen: was ist ein solches verbrechen (juristisch eine ungeheuer schwere frage: icc)?
und viel mehr noch: was ist ein verbrecher, eine verbrecher-gruppe? was ein opfer, ein opferkollektiv? gibt es hierfür essenzen oder sind dies nicht (auch) kontextuelle termini? ist ein opfer immer ein opfer und ein täter immer ein täter und wenn man sagt, dass sie es nicht sind, schmälert man dann die schuld des einen und die würde des anderen? wie trauert man, wie sühnt man, wie entsteht daraus jeweils politik?
lässt sich vergangenheit "bewältigen" (der konfliktphilosoph hans köchler) oder ist das semantisch nicht unlogisch und geht es nicht viel mehr um erinnerungskulturen und die vergangenheit als solche ist ein fait accompli und unantast- und -wandelbar eben in der vergangenheit?
(anm: der titel der konferenz hatte keinen deutschen titel, leitete sich aber direkt von einem deutschen wort her, unübersehbar: coming to terms with the past: vergangenheitsbewältigung. auch dieses wort schmeckt bitter. an ugly german word, so norbert frei, der die etappen der holocaust"rezeption" im nachkriegsdeutschland zu beschreiben versuchte, und dass der begriff nicht so schal gemeint war, wie er klang. wieder ein nicht-wort im konstanten sprachversagen.)
wieso und in welchem maße wächst einer gruppe die aufgabe zu, sich mit ihrer historischen schuld auseinander zu setzen zu, einer anderen nicht? was will diese gruppe dann von der anderen, wer ist in dieser gruppe, welche untergruppen und -parteien? welche rolle spielt die auf beiden seiten vergehende zeit, geschichte, nun dabei? dass diese aufgabe wie bekannt gewöhnlich einem verlierer von einer siegerpartei angetragen wird, macht die schuld selbst um überhaupt nichts kleiner. aber es stellt die sieger (zumindest in einem komparativen 21. jahrhundert) in ein immer fragwürdigeres licht. gewinnen heisst, sich als das gute gegen ein gott sei dank überwundenes böses zu konstruieren, im besten falle macht der besiegte komplett mit. gewinner sein heisst zum beispiel auch, dass ein algerier lange diskursiv nicht den geringsten einfluss auf die französische historiographie (link lesenswert) haben konnte. gewinnen heisst, eine swastika auf george bushs stirn an einer hauswand zu malen und selbst der größte depp wird begreifen: aha, übel, übel, hier haben wir es mit dem absolut bösen zu tun. das hakenkreuz selbst ließe sich so als mittlerweile absolut polyfunktional beschreiben: egal, wo etwas nach unterdrückung riecht, papp ein kreuzchen drauf und der ottonormalverbraucher aller länder hat schon verstanden. sein referent jedoch und auch seine ungeheuerlichkeit lässt sich mit nichts vergleichen: es ist deutsch und an dämonischem gibt es kein symbol der welt, das sich mit ihm messen könnte. das scheint mir nun anachronistisch im besten sinne des wortes.
und das bemerke ich als jemand, der von sich ernsthaft glaubt, mit ungerechtigkeit jeglicher art ein großes problem zu haben, der aber aus dem selben grund ein grausen vor allen niedlichen vereinfachungen mit verheerenden auswirkungen hat. alles, was sich kritisch mit einer gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, auseinandersetzt, ist nur zu begrüßen. alles, was diesen zustand einfriert, und ein für allemal die plus und minuspole entdeckt zu haben scheint, und zwar sowohl wenn man eine andere gruppe beschuldigt, und damit annimmt, historisch von nun an der gute zu sein, als auch für sich die dauermiesepeterkarte akzeptiert und nicht mehr kritisch über den anderen sprechen darf - ist mir suspekt. das schmeckt zu sehr nach bequemer gemütlichkeit, und wenn es um diese in diesem kontext geht, dann lässt sich plötzlich ein solch "deutsches" wort plötzlich ganz wunderbar in viele sprachen übersetzen, aber beim denken hat gemütlichkeit für mich nichts zu suchen, denn sonst ändert sich nichts.

so, hiermit sollte ich so langsam also mal übergehen von den vielen eindrücken der konferenz und den ersten wichtigen impulsen, die mir spontan dabei in den sinn kamen, auf die sprecherInnen selbst und was diese denn nun konkret zu all dem gesagt haben:

- freundInnen, leserInnen - das wurde gestern abend (also jetzt ist demnach sonntag zur selben zeit, nicht mehr samstag) nicht mehr fertig. viele sachen sind paragraphig ausformuliert, ein ganzes ist es noch nicht, heute kamen noch so viele neue details, vorträge, kommentare hinzu, auch diese fügen sich erst jetzt zusammen - es gab so spannende präsentationen u.a. von marianne birthler zur stasi, sowie einer israelin, deren eltern aus rumänien vor den nazis geflohen sind, und die in der westbank aufwuchs, über "zohod", eine ihrer meinung nach nur dem anschein nach pro-palästinensische gruppe, die aber in wirklichkeit die palästinenser, ohne den israelischen status quo nicht im geringsten in frage zu stellen, für sich vereinnahmt, aber nicht sprechen lässt - es gab so viel, und ein so spannendes, bewegendes schlussforum, auf dem nur türkische IntellektuellInnen sprachen, die zuerst zwar alle meinten, eigentlich hätten sie gedacht, gar nichts zu sagen zu haben, aber nun, wo sie erst einmal anfingen, purzele es nur so aus ihnen heraus - jeder auf einen anderen punkt aufmerksam machend, jeder durch die verschiedenen bereiche aus denen die letzten zwei tage aus anderen und über andere länder referiert wurde, für sich einen anderen nutzen ziehend, - das braucht zeit zum ausformulieren. für mich auch.
ausserdem kommt jetzt eytan fox' neuester film als letzter im festival und da muss man doch hin.
in längerer fassung aber bald mehr. vielleicht aber nur das: da schuldfragen auch etwas mit macht zu tun haben, und mit ansprüchen, die verständlicherweise von verschiedenen opfergruppen durchgesetzt werden wollen, internationalen und intranationalen, war eine der brennendsten fragen im forum untereinander diese: ja, wo soll man denn anfangen, welches opfer ist denn das "wichtigste": die vom sivasmassaker, die vom coup d'etat, die kurden, die armenier, wie könnte die hierarchie denn aussehen - und fängt man chronologisch von hinten an oder von rückwärts mit hrant dink? und: wie sensibilisiert man einen ganz großen teil der bevölkerung überhaupt für solche fragen - denn bis jetzt ist es tatsächlich unglaublich, dass das ausland von einer bevölkerung verlangt, ein verbrechen von vor 90 jahren einzugestehen, dessen sich die meisten aus den verschiedensten gründen (vor allem medialer natur) tatsächlich nicht bewusst sind?
spannend auch: die debatten darüber welcher natur denn die verbrechen aneinander/untereinander anderswo waren: beging nur eine gruppe ein verbrechen an einer anderen oder war es gegenseitig? welche parallelen ließen sich denn für konflikte hier finden?

und: liesse es sich irgendwie vermeiden, hierarchien von in sich abgekapselten opfergruppen zu kreieren, die jeder nur an ihrem eigenen leid hängen, jede nur ihr eigenes memorial wollen?

tatsächlich fand ich den satz, den ich von hrant dink irgendwann mal im stern fand, nicht nur sehr großmütig und weitsichtig, sondern auch einzig realistisch:
"Aber wenn danach (nach der Anerkennung armenischen Leids) die Probleme der Kurden, der Alewiten, der Frauen und der Homosexuellen weiterhin bestehen bleiben, war alles umsonst."

wenn eine gruppe nicht gleichzeitig auch die opfer bei anderen sehen kann, wenn sie sogar (was noch viel schwieriger ist) nicht gleichzeitig auch sehen kann, dass vielleicht sogar eine opfergruppe als "mittäter" gegenüber einer anderen fungiert haben kann (so waren bei vielen übergriffen der ottomanen auf die armenier kurden wesentlich beteiligt), dann macht eine opfer- und bekenntniskultur dauerhaft keinen sinn.

dasselbe ließe sich übrigens auch für das von schwulen ja schon so lange geforderte ns-manhmal auch für diese schicksals'gemeinschaft' sagen...

und jetzt nur ein letztes wort noch, bevor ich renne: es war gleichzeitig ein sehr schönes erlebnis, dabei gewesen zu sein - und etwas wehmütig auch: danach sprach ich mit dem praktikanten der boell aus hamburg. er ist erst seit drei wochen dabei, konnte mir aber den ganzen ablauf der konferenzvorbereitung bestens erklären. seit drei wochen. und will lange bleiben. ich sagte ihm, ich sei übrigens von der tarih vakfi, istanbulmuseum, ach ja, davon habe er gehört. sei das nicht schon ganz lange geplant, wie laufe das denn?
es laufe nicht, erklärte ich ihm, und das war mir unangenehm. acht monate auf professioneller ebene zeit vertan sozusagen. und so eine schöne konferenz auf der anderen seite.
tja, dieser jens von der böll soll mich auf jeden fall ein bisschen auf dem laufenden halten über deren arbeit hier. :-)

ich wiederhole mich. und zwar um zum thema zu kommen.

um noch einmal in aller kürze auf ein schon einmal erwähntes thema zurückzukommen:

ich liebe sprachen.
und ich liebe es, wenn andere menschen sich voller begeisterung auf andere sprachen stürzen, in diese eintauchen wollen, sich auf sie zu-, hinbewegen als ein gelebtes kommunikationssystem, in dem andere untrennbar leben. ich bin kein logiker. esperanto wäre nichts für mich.
und ich liebe menschen, die diese menschen verstehen. die sich zeit nehmen, diesen ihre eigene sprache näher zu bringen, deren konnotationen, verästelungen, die "fehler" des lernenden nachsehend; die, die es noch fertig bringen, tatsächlich über die eigene sprache selbst verblüfft zu sein, wenn ein fremdsprachler das beim lernen manchmal auch ist (ach so, ich mag kinder übrigens auch, das hier am rande). menschen, die nicht immer gleich sagen, ach lass mal, du, ich kann dir das jetzt auch ruckzuck in englisch erklären.
soweit zu meinem idealbild von kommunikation. das ist schön, aber nicht immer leicht.
ich liebe aber nicht: die flucht vor der sprache, vor der eigenen weg zu einer anderen. das ablehnen von etwas, das gar nicht anders kann, als das erste ausdrucksmittel gewesen zu sein. und das schon direkt, nachdem man es gelernt hat. zu schlucken, dass etwas anderes, später gelerntes, schöner, besser, glänzender sei.
hier könnte man dostojevski und viele seiner charaktäre zitieren. kleist, wenn man will.
das heisst dann, der macht die füße küssen auf eine so normale art und weise als würde man sich die nase putzen, und die macht wird sich nicht wundern, denn für sie ist es normal.

ausserhalb des deutschen sprachraumes gibt es nun zwei autoren, die ich seit langem sehr mag, die jedoch beide ihre sprachen nicht zu mögen behaupteten. der eine ist jean genet, dessen begründung dafür ein französisch schreibender dichter zu sein, schlicht war, einer sprache, die ihn von klein auf ausgrenzte, ihre schönsten seiten abzutrotzen, sei seine größte rache an ihr. paradox?
der zweite ist juan goytisolo. 1931 in barcelona geboren, verlor er seine katalanische mutter im ersten luftangriff unter franco (dass barcelona eben tatsächlich 'nicht' spanien ist, sondern catalunya, mit einer eigenen sprache, die es jahrzehntelang verboten war zu sprechen, wird meine mitbewohnerin bei anderen nicht müde zu betonen, und wenn ich die belustigte reaktion ihrer gesprächspartner hier sehe, verstehe ich immer mehr warum - viva espana!), während sein vater (inhaftiert unter der republik) ein linientreuer franquista wurde. goytisolos gesamtes werk ist eine bis dato von der intensität und der schärfe her unerhörte kritik an der spanischen geschichte und kultur (so sehr, dass sie mir selbst schon manchmal zu weit geht). und zwar verfasst auf spanisch. in seinem roman reivindicación del conde don julián erklärt er metaphorisch sehr anschaulich warum: der held sitzt, "gegenüber seines heimatlandes", in marokko, dem land seiner wahl, in einer bibliothek in marrakesch: wie jeden tag, nachdem er in den straßen gekifft hat, sitzt er dort an seinem arbeitsplatz, lernt intensiv arabisch (die sprache einer in spanien ausgelöschten kultur), schreibt - und beendet sein tagwerk, indem er eine fliege in einem spanischen diccionario zerquetscht. auf den gehassten, "schuldbeladenen" wörtern bleibt ein blutfleck zurück.
das heisst schreiben für goytisolo.
im gegensatz zu genet lernte goytisolo aber hierzu mehrere fremdsprachen: sowohl arabisch als auch persisch und türkisch. all das ins 'eigene', ins castellano zurückholen, was von diesem selbstverständlich und selbstherrlich vergessen wurde.
beide schriftsteller also griffen jeweils eine sprache an, die sich selbst niemals wirklich in frage stellte als die einer legitimen macht - und beide bereicherten sie damit unschätzbar.
dass das französische heute durch den ungeheuren angriff eines genet noch schillernder strahlt - eine schöne ironie, eine groteske ganz nach seinem geschmack.

nun ließe sich die liste mit schriftstellern, die auf deutsch ein ähnliches versuchten, den schmerz an der sprache thematisieren, um ein unendliches verlängern, von paul celan über ingeborg bachmann, von nelly sachs zu w.g. sebald. der entscheidende punkt daran ist: sie würde um so vieles länger werden als in der sprache aller anderen.
und der noch entscheidendere: die gelebte realität sieht um so vieles banaler aus.
wenn ein goytisolo sich einer sprache wie dem spanischen allein entgegenstellt, die so viele andere idiomas usurpiert hat, die auf ihrem eigenen terrain immer noch nicht die existenz anderer sprachen wahrnehmen will, dann hat das eine größe. wenn eine nelly sachs in einer "fahrt ins staublose" (gedichttitel) in ihrem gesamten werk versucht, sich die sprache, die gleichzeitig ihre eigene ist und die derer, die ihre gesamt familie ausgelöscht hatten, zu retten, dann steckt darin eine beeindruckende kraft.
wenn aber kollektiv eine gesamte sprachgemeinschaft (zumindest deren politisch erzogener großteil) die eigene sprache nicht mehr als etwas versteht, mit dem man sich produktiv auseinandersetzt, sondern sich eigentlich diskursiv und unaufhebbar von ihr entfernt hat als normalzustand, dann spricht eben die macht eine ganz andere sprache:
klingt scheisse, mein akzent, wa? ja, da haste auch recht, aber ich sags schneller als du selbst.
nachkriegspolitik, allied-dialektik.
und das ist schlicht etwas, das mich manchmal sauer, immer öfter etwas traurig macht. was ich aber immer wieder gerne ruhig zur kenntnis nehme, um dann zu ergänzen: ist ja alles schon in ordnung, aber höre, sie hat auch so schöne seiten - und hör nur ein bisschen genauer hin, dann kling ich vielleicht auch nicht wie ein nazi aus hollywood inc.
(gestern lustigerweise an einem wort erprobt, das weder der eine, also ich, noch die andere auf englisch wussten: schilddrüse - heisst auf spanisch übrigens tiroides...sag doch du auch mal.)
schade nur daran, dass so viele sprachmitsprecherInnen schon vor einem selbst fleissig mit das gegenteil bestätigen in aller herren länder.
die sprache der macht ist wahrlich ein perfides ding.

und somit, nachdem ich mich nicht, wie versprochen, kurz fassen konnte, nun zu meinem eigentlichen thema: einer konferenz, die mich in jeder hinsicht sehr begeisterte, die mich mit so vielen fragen positiv aufgeladen entließ, wie es konferenzen tatsächlich nicht oft schaffen, mit so vielen, dass sie nicht einmal im anschliessenden diskussionskleinkreis alle zu besprechen waren, obwohl es einen anfang gab: coming to terms with the past, deutsche und türken treffen sich gemeinsam mit anderen und besprechen eines der ganz großen themen einmal (erfrischend) neu, vorsichtig tastend, von vielen disziplinen, ländern, fallbeispielen, mit vielen verschiedenen lösungsansätzen, offenen problemen, vergleichen - eine antwort hatte keiner. einen fix und fertigen road map, von den türken bitte sofort umzusetzen erst recht nicht. hier aber erstmal ein einschnitt, sonst wird das als einzelner eintrag für viele zu lang und man müsste es als buch binden lassen - und die notizen aus dem kellerloch ist ja nun als titel schon vergeben.
ansonsten habe ich noch genau anderthalb stunden, bevor ich die vorgestern dann doch verpassten kunstpornos von abramovic und freunden noch ein letztes mal sehen kann, also halte ich mich mal etwas ran... :)

"Anders ist gefährlich"

auch einen schönen artikel von jens siegert unter diesem titel in der gender-ecke der heinrich-boell, zum verhinderten lgbt-marsch letzten jahres in moskau - und was das eben alles mit nationalen identitätssuchereien zu tun hat und damit, wie man politisch daraus kapital schlägt. zu mehr oder weniger genau dem selben thema beginnt die boell nun in einer halben stunde gleich eine ganze wochenendskonferenz also tschüss erstmal.

Freitag, 23. Februar 2007

sokak sanatı

ist ein lied von ceza und heisst strassenkunst. leider wurde gerade istanbul in pablo aravenas film next: a primer on urban painting nicht einbezogen als großer städtischer malkasten, aber das war auch das einzige kleine manko. ansonsten schlicht der hammer, was mittlerweile (mittlerweile?) zwischen tokyo, london, berlin, paris, new york, sao paolo und hast du nicht gesehen an wände aller art draußen und drinnen gesprayt, gemalt, geklebt, gestellt wird. was man so ansonsten im alltag wahrnimmt, zeigt die doku einem praktischerweise geballt und in alle richtungen ausufernd innerhalb von anderthalb stunden. oder wie eine sprayerin im film sagte: sprühen ist die letzte wirkliche möglichkeit zu freier meinungsäußerung...

aus spass daran.

heute beim frühstück. ich mache den salat, gehe in die dusche, und als ich rauskomme, stehen da fünf brötchen mit tomatenmark und phantastischem spanischem schinken. es hat einen moment gedauert, es hat tatsächlich einen ganzen moment gedauert, bis mir mein ganzes moralisches geschwätz plus der bilder, die es verursachten, wieder einfiel. der mensch vergisst schnell, wenn er die altbekannte speichelsäure produziert. die brötchenschmiererin war auch ganz schön baff, als sie erfuhr, dass ich das ab jetzt nicht mehr essen kann - und dass sie mit ihren argumenten, es handele sich hier um gute, unbehandelte wurst, die man ruhigen gewissens essen könne, an meiner motivation vorbei zielte. es ging mir nicht um meinen eigenen magen dabei. die buden, an denen ich mich in mexiko ohne mit der wimper zu zucken ernährte, hätten manchmal durchaus für eine mittlere lebensmittelvergiftung gereicht.
und kurz darauf kamen auch schon die nachbarn, beide franzosen (bzw. einer belgier, der ansonsten in carcassonne lebt, plus ein freund von ihm auf besuch). der belgier ist sehr nett, wenn auch etwas sehr bedächtig, wie es dann auch dem klischee entspricht, dass man in frankreich über die belgier hegt, und selbst vegetarier. der franzose ist ersteres auch, das heisst ganz nett, letzteres nicht, das heisst ohne fleisch (dass er franzose ist oder was auch immer spielt übrigens selbstverständlich überhaupt keine rolle dabei, er hätte alles andere auch sein können und die selbe spreche wird einem wohl bald in deutschland auch aufgenötigt). und tatsächlich war ich schon nach zwei minuten von der gesamten diskussion genervt, die dieser anfing, als er erfuhr, dass ich den schinken nicht essen wollte - was für mich kein problem war, es gab ja auch anderes auf dem tisch.
es hätte überhaupt keinen grund gegeben zu diskutieren, denn ich wollte erstmal in ruhe etwas für mich ausprobieren, dass mir instinktiv durchaus nicht leicht fällt: bewusster totalentzug.
spannend aber, wie die fleischesser sich sofort letztlich aus der defensive, in die sich gesetzt fühlten, in die attacke begaben, mit denkbar schlechten witzen und vergleichen:
"Et les plantes alors, elles ont pas des sentiments!?"
merke: was ich bestimmt nicht will, werden wie einer dieser exraucher, die nunmehr sobald sie eine zigarette nur aus der packe lugen sehen, schon demonstrativ zu husten beginnen.
was ich aber vielleicht viel eher will: es als experiment sehen. auch und vor allem als einen selbsttest. wie lange halte ich es durch, wann wird's schwer, keine ahnung, so als wäre ich mein eigener verhaltenstherapeut, wenn man so will. ausserdem interessieren mich, nur so zum registrieren, auch die vielfältigen reaktionen anderer darauf erstmal - denn ich hoffe ganz ernsthaft, ich habe selbst nicht so blöd defensiv reagiert vorher wie mein gesprächspartner heute. sicher bin ich darüber im nachhinein aber auch nicht mehr...

hörtipp, zum othering hier und dort, zum aktiven mitflicken der hürriyet dabei und...

später mal mehr dazu, jetzt aber endlich los, sonst bekomme ich nie mein praktikumszertifikat...

70.000 zwangsheiraten im hexagon? zu einem geläufigen "missverständnis" im journalismus

L’excellente revue Pénombre, qui traque l’usage fantaisiste des chiffres par les médias et les responsables politiques, publie un article sur le sujet dans sa livraison de novembre 2006 (pas encore disponible sur son site), sous le titre : « 70 000 mariages forcés par an ? ». Résultat des calculs : il existe en France 70 000 filles étrangères de 15 à 18 ans. L’auteure, Fabienne Vansteekinste, explique : « Ne hurlez pas tout de suite. Les étrangers en France comptent quelques Belges chez qui la pratique du mariage forcé est réduite, et la nationalité française englobe des gens d’origine africaine chez qui elle est plus répandue. Mais il n’y a pas de statistiques administratives par origine géographique au-delà de la première génération en France, et les gens du HCI, avec les mêmes sources, ont dû faire le même calcul que moi. Bon sang, mais c’est bien sûr ! Et voilà comment on est passé de “70 000 filles potentiellement menacées qui seraient protégées si on relevait l’âge minimum du mariage à 18 ans” à “plus de 70 000 mariages forcés par an en France”. »

so ein auszug aus der monde diplomatique zur entstehung einer von mittlerweile jedem im französischen mediendiskurs genutzten zahl, eingeführt vom Haut conseil à l’intégration (HCI) und kritiklos übernommen von "des médias paresseux, convaincus que l’islam est par essence mauvais et dangereux, bien que rien dans la formulation n’indique une source sérieuse des données."

siehe auch: lepénisation des esprits, auf nouvelles d'orient blog.
En 1977, le philosophe Gilles Deleuze avait décrit « cette domestication de l’intellectuel » par la presse : « À la limite, un livre vaut moins que l’article de journal qu’on fait sur lui ou l’interview à laquelle il donne lieu. Les intellectuels et les écrivains, même les artistes, sont donc conviés à devenir journalistes s’ils veulent se conformer aux normes. C’est un nouveau type de pensée, la pensée-interview, la pensée-entretien, la pensée-minute. On imagine un livre qui porterait sur un article de journal, et non plus l’inverse. Les rapports de force ont tout à fait changé, entre journalistes et intellectuels. Tout a commencé avec la télé, et les numéros de dressage que les interviewers ont fait subir aux intellectuels consentants. » [1] Depuis, la situation n’a cessé d’empirer...

kunst macht was.

„(. . .) Mein Leben, gewiss nicht im Ganzen, aber doch in einigem, manchem, vielleicht Entscheidenderem, als ich es bis heute zu überblicken vermag, wäre anders verlaufen, als es mit Döblins ,Berlin Alexanderplatz' im Kopf, im Fleisch, im Körper als Ganzes und in der Seele, lächeln Sie meinetwegen, verlaufen ist.“ (R.W. Fassbinder, 1980)

aber zu lächeln, zu lachen jedenfalls, gibt es da eigentlich gar nichts. eine solche bemerkung erklärt vielleicht aber meine große zuneigung zu und meinen noch größeren respekt vor diesem menschen, der auch einmal auf die frage, warum er denn so gar keine gruppe von seiner kritik verschone, gesagt haben soll: letzten endes sehe ich ja nur wo's brennt.

das obige zitat ist von tom tykwer entliehen, der manchmal schöner schreibt als er filme macht. hier für die faz, die es sich allein schon deshalb zu lesen lohnt, weil tykwer darin zwei punkte an faustrecht der freiheit kurz und klar zusammenfasst: erstens, es sei ein meisterwerk, und zweitens, unterbewertet.

Donnerstag, 22. Februar 2007

depremi!

ach so, die heutige ausgabe der radikal titelt übrigens in großen lettern depremi hiç unutmayın!, dies, wie rechts unten zu sehen, im rss sogar rot unterlegt. vergesst das große erdbeben nicht, das seinen vorboten 1999 schickte, und das letzten endes unvermeidlich kommen wird in den nächsten jahren. in den größten nicht nur humanen, sondern auch wirtschaftlichen ballungsraum des landes, der region. rot unterlegt, um wach zu rütteln, denn der überwältigende großteil der gebäude wird diesem nicht standhalten. aber wen genau wachrütteln, wenn es jeder weiss. seismologisch wird so unaufhörlich weitergeforscht, vor allem in kooperation mit dem gfz potsdam, aber auf ebene der stadtplanung passiert nicht viel.
wie auch immer, darüber muss ein anderes mal weiter nachgedacht werden, denn jetzt bringt uns erstmal die gegenwärtig kulturelle vorhut in gestalt von u.a. larry clark, maria abramovic und mathew barney das zeitgenössische, von den veranstaltern auf die kinderfreie geisterstunde verlegte vögeln bei - auch das ja nicht ganz unwichtig.

"erdlinge" - oder die kuh, die nichts zu lachen hat.

earthlings. humanitarian award auf dem san diego film festival.

und es gäbe viel an diesem film zu nörgeln.
die musik, die weinerliche männerstimme, die metaphorik, die terminologie: rassismus, sexismus - aber das schlimmste von allem > spezismus. der mensch macht die anderen arten zum tier. was tatsächlich heisst: er gesteht tieren kein empfinden zu und sich nicht ein, dass er selbst eines ist.
wäre das fürs schwein nicht gemein, wäre der mensch ein schwein.

und ich mag es auch ganz und gar nicht, wenn filme und aktivistInnen, egal ob für tierrechte oder abtreibungsgegner, die holocaust-analogie bemühen, wie erdlinge zur einleitung (gesprochen von joaquin phoenix) es mal wieder tat. für mich stellt das immer noch eine unglaubliche, die ebenen vermischende propagandakeule dar, die beiden seiten nicht gerecht wird.
das aber gesagt habend: wieso bemühen filme wie dieser solche sprachbilder immer, wieso eine solch hollywoodlastige musik um zu emotionalisieren, wieso denken die macher dieses films nicht, dass die mächtigen bilder aus allen bereichen der tiermisshandlung, die sie im film anführen, allein nicht ausreichen, um zu mobilisieren - wieso dieser eifernde missionarismus?
oder kurz und knapp anders: wieso esse ich immer noch fleisch, wenn auch nicht viel und obwohl ich mir immer mal wieder ein schlechtes gewissen dazu leiste? wieso denkt ein film wie dieser, solche gefühlsaufwühlenden mechanismen benutzen zu müssen, um leute auch wie mich zu erreichen?
da ich hier laut über etwas überindividuelles nachzudenken versuche, geht es mir dabei auch nicht frei nach de quincey um die confessions of a german schnitzel eater, sondern darum, wieso dieses system uns allen so freundlich und bunt daher kommt, so in alle bereiche des lebens eingebunden, so in allen kulturen seit alters her zu finden und mit den tollsten gewürzen von kindheit auf die geschmacksnerven prägend, dass es ganz einfach ausser frage steht, dagegen zu sein, wie dieser film es fordert. es sei denn eben als individuelle vorliebe, die der kapitalismus akzeptieren kann, weil auch diese sich vermarkten lässt, und die andere akzeptieren können, wie sie eben auch akzeptieren können, dass jemand keine schokolade mag. ist ja dann doch sein oder ihr problem.
ich zum beispiel bin kein echter raucher: ich rauche zwar recht viel mit anderen und wenn ich ausgehe, aber wenn keine zigaretten da sind, dann sind eben keine da. nach kant aber wäre das nicht unbedingt eine große tugendhafte leistung von mir.
eine andere freundin von mir nunist vegetarierin, weil sie sowieso kein fleisch und keinen fisch mag. aber zum beispiel diese spezielle "abneigung" nun auch philosophisch zu untermauern, und diese auch vor der familie und am bayramfest durchzusetzen - das ist eine ganz andere leistung gewesen. fleisch ist überall, dies ist unser höchster feiertag und wer bist du, dass du nein sagst.

hier redet, wie gesagt, ein bekennender fleischesser. einer, der zuhause, d.h. bei seinen näheren vegetarierfreunden so gut wie nie unvegetarisch isst, aber als wahrheitsfanatiker dieses gebot sogar da absichtlich bricht, weil es ihm verlogen vorkäme, vor seinen bekannten das letztlich vom geschmack her doch sehr geliebte tote tier nicht zu essen, anderswo aber dann ab und an heimlich. auf die gefahr hin, dass sie dann sauer auf ihn sind.
und so hatte ich nach dem film eben auch eine diskussion mit einer sehr guten freundin, die diese meat is murder, und sogar genocide these auch vertritt, und vor der ich eins zwei mal bewusst köfte aß, weil ich es nicht mag, wenn man mich moralisierend in die gewissensecke drängt. das erwähnte sie heute noch mal: wie wütend sie da auf mich gewesen sei, und eigentlich hätte aufstehen und gehen wollen; dass sie auch wusste, dass ich es als trotzreaktion tat.
"wie ein kleinkind!"
das mag auch tatsächlich kindisch gewesen sein als reaktion, da hat sie recht.
aber es gibt eben seit einiger zeit in meinem leben vielleicht zwei maximen, an die ich wirklich versucht habe, mich zu halten. die eine ist von andré gide und sagt: "lieber gehasst werden für das, was man ist, als geliebt werden für das, was man nicht ist." die andere durchzieht dostojevskis ganzes werk: wenn man sich nicht bewusst dazu entscheiden kann, etwas falsches zu tun, dann ist die ganze idee der freiheit nichts wert. d.h. wenn ich merke, dass ich etwas nur mache, weil jemand anderer das von mir erwartet und er die moralische entscheidung darüber mir nicht mehr überlässt, dann mache ich manchmal lieber das gegenteil. die lektüre des großinquisitors hat wohl gesessen.
in der konsequenz aber kann dieses verhalten tatsächlich ins kindische führen!
und den widerspruch, den ich mit mir selbst austrage, wenn "plötzlich" schon wieder eine chorizo vor mir liegt, hebt das durchaus nicht auf. besser fühle ich mich dadurch auch nicht.
aber andere essen es ja auch und denen schmeckt es ja auch und dann klopfen wir uns eben beschwichtigend auf die schulter und ruhe kinder, jetzt wird aber mal gegessen.
dass nun ein teil meiner verwandten beispielsweise, darunter extrem christliche menschen, den marsch der pinguine mit tränenenden augen sahen (einen film, den ich verachtete, weil er tiere in schlümpfe verwandelt, alberne gefühlsduselige sachen sagen lässt und verplüschisiert), ändert überhaupt nichts daran, dass noch am selben abend beim familienessen ein gewichtiger hirtentopf auf den tisch gestellt wird, bei dem der hirte für lamm steht. und insofern ist der vergleich zum holocaust in einer hinsicht tatsächlich gerechtfertigt, dieser sogenannter "spezismus": in der nämlich des systematischen wegsehens. wenn man sich nicht selbst an einer schlachtung (die ja noch fast menschlich ist) beteiligt, dann eben mit hübscheren bildern und vorzeigebeispielen willentlich übersehen wollen, dass andere, nämlich die geschlachteten, darunter leiden. und das wird tatsächlich eine immer größere bewundernswert schizophrene leistung des postfordistischen menschen. (wie gesagt: ich denke laut hier. sobald man dieses thema nämlich auf den tisch bringt, gerät man schnell in den unangenehmen ruf des moralpredigers, und um nicht anzuecken, stößt man auf, und ein tabu wird weitergenährt. dabei fällt mir auf, dass es recht betrachtet tatsächlich noch tabuthemen gibt bei uns. sex gehört selbstredend nur sehr bedingt dazu.)
nur dass dieses (aber dazu weiss ich selbst noch viel zu wenig) ein viel älteres kulturprodukt ist als das des rassismus oder sexismus. der mensch hat das tier ja schon immer benutzt und das scheint deshalb ganz natürlich.
diese natürlichnatürlich-diskurse, die sich so vielfach überlagern, überlappen, fangen aber an, mich immer mehr zu interessieren. vom bösen wolf in den märchen bis zur kuh die lacht auf der milch.
ronald mcdonald mag ein feind der antiglobalisierer sein. die wenigsten greifen den lachenden clown als einen der größten tierquäler der welt an.
darüber hinaus gibt es auch genderkonnotierte aspekte, die mich am vegetarierimage immer mehr interessieren (ehrlich gesagt, gerade hier in der türkei, wo es tatsächlich, das fiel mir aber erst durch türkische freunde auf, schwer ist, fleischfrei zu normalen preisen zu essen): meistens unausgesprochen, aber dennoch spürbar, schwingt im image des vegetariertums auch ein gut stück gefühlsduselei mit, gutmenschentum, der-harten-realität-nicht-gerecht-werden - kurz, oft etwas als "weiblich" gesetztes, und mindestens hinter der hand bespötteltes. (auf den selbsttest in lokalen, mal nicht einfach nur "bitte ein reisgericht", sondern explizit "haben sie denn auch fleischfrei?" selbst beobachtet.)
mit diesem aspekt konkurrierend und verschwistert gibt es auch ein eindeutiges schichtengefälle sobald es um die wurst geht, das für mich wirklich überhaupt nicht unwichtig ist: bekanntermaßen ist vegetarismus zumindest im westen (dass es im buddhismus auch so ist, habe ich eben erst gelernt) vermehrt von der mittelschicht bzw vom bildungsbürgertum aufwärts zu verzeichnen und durchaus ein sozialer marker, der mir als solcher gar nicht gefällt. da sagt der working class hero, was soll an meinem eintopf denn schlecht sein, du klugscheisser, der hat mir schon immer geschmeckt und der adrette tennisheini schüttelt von oben herab den kopf über den fettsack auf dem weg in die sauna.
und so gibt es verschiedene positionen zur fleischfreien ernährung, von der extrem einen, die dies besorgt als verweichlichung betrachtet, zur extrem anderen des marktes, die eine solche kritische stimme durchaus verdauen und mitverwursten kann, da sie sie als kleinen individuellen ausdruck eigenen geschmacks in der kakophonie dominierender geschmäcker zurückschrumpft zu einem der vielen möglichen lebensstile, und sich beglückwünschen kann, plurales denken zu erlauben.

weitere beobachtung zum kommentar einer freundin, wieder der selben: 'und da gingen wir noch vor ein paar jahren zu einem fest von irak-kriegsgegnern, die gegen das sterben und leiden der menschen da waren - und an jedem ihrer stände gab es ausschliesslich fleisch. ja denken die denn gar nicht nach?'
ihr entgegenhalten wollen, das lasse sich doch nicht vergleichen. da sterben menschen aufgrund kriegstreiberischer interessen und hier essen friedliche pazifisten ihre gerichte, wie sie es seit jeher, seit generationen und abergenerationen taten. das kann man ihnen doch nicht so radikal vorwerfen, mein gott!
aber vielleicht ist dieser punkt ja gerade ein extrem wichtiger (und diskursiv von den wurstverkäufern extrem ausschlachtbar): traditionen. mythen. romane. märchenfilmebilder. moby dick und gargantua, der allesfresser. die haute cuisine francaise. tom sawyer, der am fluss sitzt, lacht und fischt, ja hat er das denn nicht schon immer gemacht.
wir machen ein fest, um alle ethnien der türkei zu präsentieren, ihre lieder, ihre kleider, ihre gerichte. ist es denn nicht was schönes, vom andern zu lernen.
und da lud man mich zum Aïd el-Kebir mit an den tisch und ist das nicht eine große ehre, wie dürfte ich mir da nörgeln anmaßen. und die weihnachtsgans auf dem tisch und die kerzen leuchten so helle. und die foie gras verkauft sich in bleu-blanc-rouge. essen ist eine höchst politische angelegenheit, das können die tiere nicht wissen. und der herr, der ja aber auch selbst ein fisch ist, verteilte sieben brote und zwei fische und alle wurden satt.
so überlagern uralte und ständig neu geschriebene, sich widersprechende, aber im kern das selbe sagende diskurse die metzgerei, und auch die metzgerei ist nur ein rührendes bild für etwas, an das letztendlich keiner rühren will. daran, dass die metzgerei eben selbst nur ein schönes bild ist aus einer vergangenen romantisch-traditionellen traumfabrik. tiere sterben nicht auf solch familiäre weise und in so kleinem umfang, wie dieses bild es noch immer effektiv suggeriert - aus eigener schlachtung.

dass hinter dieser abgehobenen diskussion mit traditionellen argumenten, haben tiere rechte und welche, ganz andere bilder stecken, von flächendeckender tierquälerei, wie sie immer mehr nicht ab sondern zunimmt, sich potenziert, das lässt man nur in den seltensten fällen wirklich an sich ran. oder es bleibt im privaten, wo es gut aufgehoben ist.

mal sehen wie lange diesmal bei mir...

die schreckensbilder habe ich ja erstmal wieder brav mitgenommen, gegessen habe ich auch schon und soweit ich weiss, ist auch das wurstpaket ("das ist eine spezialität aus meiner region") der mitbewohnerin schon aufgegessen. frei nach kant kann ich bis jetzt also nur vom glück reden.

und wenn ich tatsächlich wieder schwächeln sollte, und wieder zurück zum alten trott: na, jetzt leben wir im 21. jahrhundert in immer größeren städten, in immer abgehobeneren sozialen gefügen, selbst wenn ihr drei mal die woche auf den biobazar geht, wo kommen immer noch die millionen liter milch her in istanbul, an denen ihr mittrinkt, wo die unzählbaren eier? sollen alle diese leute etwa am wochenende zum großeinkauf auf den freilandhof fahren? tja, damit hätte ich einen fiesen, billigen trumpf im ärmel, den auch wieder jeder schon kennt, auf den es aber immerhin nicht leicht ist zu kontern - und könnte wieder selbstzufrieden lächeln. seht ihr, eine rundumlösung gibt es nicht, und so lange eben: guten appetit..?

ps: wie ich aber ganz ehrlich gerade zum ersten mal in aller ausführlichkeit gelesen habe, wären auch diese argumente hinfällig und mir müsste das lachen im hals stecken bleiben.

meinungsfreiheit! oder so.

und ganz unerwartet kenne ich durch heutiges surfen auf der seite von amnesty nun auch den namen des sängers von system of a down, serj tankian (metal war bis jetzt nur ganz selten so wirklich meins...), und der scheint mir weder einfältig noch unpolitisch (ja, das klischee, dass sich metalheads nur bierdosen wuchtig auf dem kopf zerdallern und ansonsten ganz gemütlich sind, lässt sich wider besseres wissen bei mir nur schwer ganz zerstreuen):
Er ist aktiver teilnehmer von amnestys programm musik für die menschenrechte und tritt als solcher für die abschaffung des paragraphen 301* in der türkei ein:
"As a songwriter, a musician, freedom of expression is not some abstract concept to me. It's my life. As a member of Amnesty International, I am given the tools I need to help ensure that no one is silenced for expressing their beliefs. I urge you to join me in signing this petition, to demand an end to Article 301."

persönlicher hintergrund hierbei: er ist armenischstämmiger us-amerikaner, der wohl schon länger in den staaten durch verschiedenste aktionen auf die leugnung des genozids durch die türkische legislative aufmerksam macht. wusste ich nicht.

dass das aber immer so eine sache ist mit dem recht zur "freien" meinungsäßerung und dass man da nie in absoluten polen von + vorhanden und - abwesend sprechen sollte, liesse sich am selben beispiel zeigen - in manchen systemen tritt die beschneidung bekanntermaßen nur versteckter auf:

Am 13. September 2001, kurz nach den Attacken des 11. September, verfasste Tankian ein Essay mit dem Titel „Understanding Oil“. Sony entfernte es sofort von System Of A Downs Internetseite, da viele darin eine Rechtfertigung für die Aktionen der Terroristen sahen. Tankian aber wollte mit dem Artikel angeblich für Frieden, Erforschung und Entwicklung von alternativen Brennstoffen eintreten. In seiner darauffolgenden Aussage, um das Missverständnis auszuräumen, er rechtfertige die Terroranschläge vom 11. September, erkennt man weiterhin die implizite Erklärung, der Westen sei selbst an der vermehrten Anzahl der Terroranschläge schuld.

...my belief is that the terror will multiply if concrete steps are not taken to sponsor peace in the middle east, NOW. This does not mean that we should not find the guilty party(s), Bin Laden, or whoever they may be, and not try them. Put simply, as long as a major injustice remains, violence precipitates to the surface of life.
wikipedia

* obwohl schon seit jahren mitglied bei amnesty, kamen mir diese briefaktionen aus der ferne auch immer etwas zweifelhaft vor: wer sind denn diese leute, ich also auch, die nur aufgrund eines dina4-blatts an information anfangen wollen, sich in die angelegenheiten entferntester länder, "kultursysteme", einzumischen?
erst neulich gab es eine beschwerde von nigerianischen queers gegen solche einmischungen von seiten der englischen gruppe outrage!, wo diese den engländern neokoloniales handeln vorwarfen, das mehr schade als helfe. das hat dann bei übereifrigen den effekt der kalten dusche und bei den abgeklärten den der siehste-ich-habs-dir-doch-gesagt-was-hängen-die-sich-auch-in-fremder-leuts-
angelegenheiten-tja-ja-ja-selbstbestätigung.
wieso begrüße ich solche aktionen trotzdem oft immer noch - zum beispiel die gegen den 301?
es gibt hier zwar eine kritische öffentlichkeit, die diesen paragraphen immer mehr verurteilt, aber diese ist klein - und das hat vor allem ökonomische gründe, so scheint es zumindest mir. viele leute werden die partei, die ihn aufrecht erhält, die akp trotzdem wieder wählen, da diese es einfach für völlig legitim hält vor den parlamentswahlen regelmäßig mit lebensmittelspenden im großen stil bei den wählern selbst vorstellig zu werden (reis, mehl, das klingt grotesk, für viele hier scheint es das aber überhaupt nicht, wenn der freundliche mann etwas dringend benötigtes vorbeibringt und somit doch noch einmal die stimme gewinnen kann). da ist dieses gesetz nur eines unter vielen, mit denen man schon so lange gelebt hat, und die meisten spüren dessen auswirkungen ja auch nur äußerst indirekt, wie sie denken, denn solch große kritiken haben sie ja gar nicht anzumelden. und so bleibt es dann eben. wie es vorher schon war. im november sind hier parlamentswahlen und erdoğan hat angst stimmen zu verlieren, wenn er das gesetz als ganzes abschafft. die kritik muss also massiv von anderswo kommen. und ein gesetz kann einen grossen unterschied machen - aber das merkt man erst wenn es eben da oder weg ist.

ein "verräter und terrorist" und kein zivildienst in sicht.

Amnesty International is deeply concerned at reports that on 26 January 2007 conscientious objector Halil Savda was ill-treated by military personnel in the disciplinary ward of the military barracks in Tekirda? where he had originally been summoned to perform military service. Furthermore the organization is concerned that Turkish legislation does not provide for an alternative civilian service for people who refuse to perform military service on grounds of conscientiously-held beliefs.

Halil Savda reported that he was pushed against a wall, kicked in the legs and hit by an officer and two guards until he fell to the floor. The kicking reportedly continued while he was on the floor, with the perpetrators shouting, "you are a traitor, you are a terrorist". He alleged that they pushed a dirty gag into his mouth to prevent him screaming out. Apparently as a result of the incident, Halil Savda's face was swollen and he was left with a split and bleeding lip. He reported that he was subsequently taken to a room with no chair or bed where he stayed for three days, sleeping on the cement floor without a blanket.

gesamter text plus beschwerdebrief hier.
mehmet tarhan ist mittlerweile ein star, der orhan pamuk der türkischen kriegsdienstverweigerer und als solcher unberührbar geworden für die justiz. das weiss er auch selbst. wie das einzelbeispiel halil savda zeigt, handelt die judikative aber immer noch frei nach brechts motto "die im dunkeln sieht man nicht" mit denen, die nicht so populär sind.

interessant (und traurig? ernüchternd?) für jemanden wie mich, der als eine seiner besten arbeitserfahrungen bis jetzt die zivizeit in der altenpsychiatrie bezeichnen würde, und nie auf die idee gekommen wäre, eine uniform anzuziehen: wie sehr sich das leben aller jungen männer hier, und ganz besonders derer, die diesem zu entkommen versuchen mit allen nur denkbaren tricks, ihn aber, bis sie ihn denn ableisten, als ständigen druck im nacken spüren, um die askerlik, den militärdienst dreht. wer übersieht, wie sehr das militär hier noch selbst in der zivilsten stadt an jeder ecke präsent ist, der hat wohl nicht allzu viel gesehen von diesem land.

Dienstag, 20. Februar 2007

...des tages, 2

heute, if-festival, gratis zwei blöcke: so schlecht der erste war im fiktiven (kurzfilme), so beeindruckend war der zweite im dokumentarischen: HAREKET ET, DÜNYAYI DEĞİŞTİR/ Beweg dich veraender die welt!
- s/he berlin, über türkische oder türkischstaemmige nichtheteros an der spree,
- die zelle, auf welcher seite des schlosses? über mehmet tarhans rolle in der türkischen/weltweiten bewegung von kriegsdienstverweigerern aus gewissensgründen
- kuştepe şans park, zum auffallenden, merkwürdigen, eigentlich unertraeglichen widerspruch zwischen einer der mit abstand teuersten (und tatsaechlich wohl auch besten) universitaeten des landes und dem sozialen umfeld seiner beiden istanbuler campusse: dolapdere, unweit von meinem eigenen haus, und vor allem kuştepe, dessen eigene bevölkerung zu über 50 % arbeitslos ist und zu einem annaehernd gleich grossen anteil aus 'roma' besteht. ein film zu einer handvoll studenten, deren kommilitonen es sich ohne probleme leisten können, mit porsches zum kampus zu kommen, aber grösstenteils mit unishuttles geholt und gebracht werden, und die mit einer gehörigen portion naivem rotary club aktivismus einen kleinen spielplatz mit zaun als projekt hinstellen - und sich anschliessend wundern, dass weniger dankbarkeit als demontage zu beobachten ist, um die einzelteile zu verhökern. eine ballade von einer resignierenden bezirksverwaltung, die jedoch auch vor der resignation schon nicht viel gemacht hat.
- sowie eben 'wir marschieren'/yürüyoruz zum schon mehrfach erwaehnten bursamarsch.

tatsaechlich gab es aber im ersten block 'halbnackt' auch einen film, der sich erfreulich abhob, aber eigentlich war er nicht einer, sondern drei, als drei episoden zwischen die anderen filmchen zwischengestreut: Mehmet Selçuk Bilge, jahrgang 1983, filmte und 'spielte' selbst in rent a boy, mr unhappy meets the girl und mr unhappy meets a doctor, die alle als schnittmenge gemeinsam einen verkrachten, charmanten soziopathen haben, wie ihn robert walker in hitchcocks strangers on a train nicht überzeugender haette verkörpern können, der mit seiner kleinen videokamera auf der strasse (oder im privatkrankenhaus) leute anspricht, wie du und ich oder ein bisschen stereotyper, mit denen einen kaffee trinken will (ach lass uns doch zu starbucks, ich mag auch gloria, aber bei starbucks ist der kaffee noch einen kleinen tick besser) und sie abschliessend ziemlich aufdringlich zu sich nach hause einlaedt, ich möchte, dass du meine innenwelt kennenlernst, dass du mir naeher bist. und tatsaechlich wird auch mitgegangen. - du bist beim film hast du gesagt? du bist fotograf? vanity fair im kleinformat von einem ziemlich schelmigen menschen...


und zum ende noch einen lesenswerten blog entdeckt, wissenschaftlicher als dieser hier, vielleicht sogar politischer..: al sharq (wieder mal den arabischen ursprung eines türkischen wortes gelernt), eine seite mehrerer fu-islamis zu politik, gesellschaft und berichterstattung im nahen osten.

le retour en jeune de la grande nation ...

neues vom tage, was nichts neues ist:
1. der lange prozess der dekolonisierung afrikanischer staaten, die sich immer mehr aus dem vielfach verschraenkten würgegriff eines landes befreien wollen, das sich noch immer nicht einmal richtig bewusst ist, dass es 'seine freunde' überhaupt kolonisiert hat, sowie
2. ausgerechnet die tatsaechlich um einiges modernere familienpolitik dieses selben landes, die dazu führen könnte, dass es seinen alternden nachbarn östlich des rheins wirtschaftlich in die schranken weist.

und wie immer interessant, diese beiden nachbarn aus der 'distanz' eines landes wie der türkei zu beobachten, das mit beiden historisch verbunden ist - und das ja eigene probleme zuhauf haben mag - aber ein gesellschaftliches verrentnern garantiert nicht.

Freitag, 16. Februar 2007

if! festival.

ins kino gegangen. das leben der anderen gesehen. mühe. sehr froh gewesen.

sehr froh gewesen, ihn in einem ausverkauften saal mit türkischem publikum zu sehen.

(und am ende auf ein haus zeigen können in der frankfurter allee und sagen, mensch, das ist ja meins, schau da hab ich noch bis vor kurzem selbst drin gewohnt - und dann lachend hinzufügen, das ist jetzt übrigens europäisches patrimoine culturel, das darf man dann auch. das muss einem nicht peinlich sein.)

Mittwoch, 14. Februar 2007

good bye mama mal widr

Nimm den Abschied nicht so schwer
Goodbye Mama, Goodbye Mama
Weil ich einmal wieder kehr...

(Ireen Sheer/Cora Frost)

soeben wurde also mit den letzten verbliebenen franken auf einem französischen konto (dank dir schön, caf!) eine flugbuchung bei adria luft vorgenommen, was heisst, dass, nach einem kurzen umstieg in laibach, der ruhig hätte länger sein können, am morgen des fünften märzes von mir wieder deutscher boden betreten werden wird.
frankfurter wirschtl-und-possmann-boden.
jedes weitere hinauszögern der entscheidung bezüglich eines rückkehrzeitpunktes und einer rückkehrart schien mir ungesund und somit habe ich jetzt also nicht ganz mehr drei wochen, um diesen fakt zu verdauen.
ach.
ein schönes wort - und vielleicht so unübersetzbar wie sehnsucht es angeblich ja sein soll.

aber freuen tue ich mich ja auch, das weiss ich zur zeit nur noch nicht so genau...

Montag, 12. Februar 2007

was vom tage...

heute vormittag gab mir aykut, ein netter junge von lambda istanbul (endlich!) die zwei filme, die er bis jetzt im zusammenhang seiner arbeit da und dem studium an der boğazici gemacht hat: eine etwas ältere reportage von 20 minuten mit dem titel "travesti terörü" (bei 'uns' wäre dies ein lustiges motto zur selbstbefreiung à la tuntenterror, hier ist es eine ernst gemeinte, meinung bildende und meinung zusammenfassende schlagzeile einer großen zeitung; in deutschland wäre das wort terror selbst, sogar in der post-9/11-phase, noch immer etwas romantisch umhaucht eine metapher für eine kritische öffentlichkeit, hier ist es das ende allen spaßes, das totschlag-argument), sowie eine dokumentation zum letztjährigen, äußerst gewaltsam vereitelten pride march in bursa. letzterer lief im dezember schon auf dem akbank-kurzfilmfestival, ist aber im neuschnitt nun doppelt so lang. diesmal aber beide ohne untertitel, teilweise ganz schön schwierig deshalb. sah mir aus diesem grund heute mit einer freundin zusammen den ersten film an. zeigte sich dabei, dass das nicht nur wegen der sprache gut war, sondern auch wegen unzähliger anspielungen, namen etc. aus der türkischen zeitgeschichte, die ich so höchstens hätte hinnehmen können, zu ihnen ich durch ihre eifrige hilfe aber nun gezielt recherchieren kann.
erfreulich an diesem abend darüber hinaus: tatsächlich scheine ich es noch immer nicht geschafft zu haben, zum erfahrenen, abgeklärten medienzyniker zu werden, tatsächlich scheine ich mich dazu vielleicht sogar gar nicht zu eignen.
das traurige daran andererseits: so liefert man sich immer wieder einem medium aus, das oft nur scheinbar im plural auftritt, aber durch diese scheinbare pluralität überall schon vor einem war, und überall lauter, das behauptungen aufstellt, die so unglaublich frech sind, dass es einem vor wut die sprache verschlägt und das aus auf der hand liegenden gründen in der überwältigenden mehrheit wider besseres wissen und aus schlicht macchiavelli'schem kalkül nicht zulässt, dass andere ihm etwas entgegen setzen. wie eben ein solch kleiner film wie der von aykut zum beispiel es könnte, der neben aus abendnachrichten verschiedener tv-sender entnommenen ausschnitten vor allem aus interviews mit medienexperten, der soziologin pınar selek (diesen link lohnt es sich zu klicken!) und eben transen selbst besteht.
nun kann man mir gerne mit den diversesten (und teilweise auch abgedroschensten) argumenten kommen, um zu begründen, warum es kein wunder ist, dass die medien nun einmal auf diese weise hier über transen berichten: vor allem: "das kultur"-argument, die keule.
mediterrane
kultur. islamische kultur. 'traditionell' andere geschlechterrollen etceterapepeblabla. das will ich mir gerne alles anhören, und teilweise vielleicht sogar nach langer diskussion und mit gehörigen einschränkungen zustimmen.
aber: als post-nachkriegskind muss man mir nicht lange erklären, wozu ein sündenbock (türkisch sünah keçi) gut ist, noch wo die herkommen oder wie man die macht.
und da nun hat frau selek im film einen sehr schönen satz gesagt, der eigentlich jedem selbst sofort hätte einfallen müssen, der aber tatsächlich schlagartig den eigentlichen kern des problems zusammenfasst: die logische konsequenz einer von den öffentlichen medien gebrauchten virus- und säuberungs-metaphorik, sagt sie, (temizlemek, säubern, eine wunde zum beispiel) ist, dass man einen arzt braucht. und wenn ein land eine krankheit hat, dann ist der arzt eben die derzeitige legislative respektive deren ausführende hand (deren offizieller name, zumindest der einer spezialeinheit hier, übrigens allen ernstes "robokops" ist.)
und wenn es keine krankheit gibt, dann muss auch keiner zum doktor.
ergo: der staat braucht seine monster hier, seine von ihm in stillem einvernehmen mit den bildermachern selbst hergestellten schädlinge, um weiter als kammerjäger auftreten zu dürfen. ungezieferlexik, veit harlan winkt von nicht allzu ferne.
und dann? natürlich: jedes publikum holt sich ein bisschen die regierung und die unterhaltung, die es will und alles böse kommt von oben sagen ist auch etwas simpel und unfair, und dass die jungs, die neben einem im lokal zusammenklüngeln oder kellnern, sich kollektiv vor lachen nicht einkriegen, wenn draußen eine transe vorbeiläuft, spricht auch nicht gerade für viel eigeninitiative, wenn es darum ginge, einen oder eine andere zu verstehen. immer nur sagen, wir wussten's ja nicht besser, gilt hier nicht.
aber: wenn ein journalist, und infolge dessen eine ganze berufsgruppe nahezu geschlossen, und obwohl sie es bei jedem einsatz in der straße, bei jedem sichten der quellenlage, bei jedem gespräch, besser und umgekehrt gelernt haben, trotzdem noch die realität so präsentieren, dass jemand, der sich mit einem messer gegen keulen- und pistolenschwinger verteidigt, als der eigentliche aggressor rezipiert wird, dass jemand, der auf einer autobahnausfahrt wehrlos am boden liegend von einem taxifahrer mit einer eisenstange verprügelt wird, am ende derjenige ist, der in wirklichkeit vorher tätlich bedroht haben soll, dann ist eben auch eine ganze berufsgruppe in diesem falle als schlichtweg kriminell einzustufen.
und das hat dann mit kultur aber auch rein gar nichts zu tun. transphobie ist nichts, dass einen kulturgeschichtlich unwandelbaren charakterzug darstellt, nichts wofür ein land ein anderes als "barbarisch" schmähen kann und nichts, hinter dem sich dieses land selbst als einer "ureigenen tradition" verstecken darf - sie ist ein gemachtes image, das sich manche aneignen, manche nicht. und das manche, obwohl sie es sich nicht aneignen, doch auch nicht zu korrigieren gewillt sind, wenn eine transsexuelle, die lediglich durch eine straße gehen will, von anwohnern daran gehindert wird. das würde mut erfordern und das könnte kompliziert werden. da käme also ein lebendes beispiel von dem, was so fürchterlich sein soll und man müsste eigentlich nur hinsehen - aber sein image war schon vor ihm da und über das hat er selbst keine große kontrolle und was sollen die nachbarn denken.

und so geben sich hierbei das private und das staatliche fernsehen in bestem einverständnis die hand: denn was dem staat seine feinde (natürlich: es gibt auch unter den reportern ausnahmen und die werden vor laufender kamera von einem ausser kontrolle geratenen polizisten auch so angebrüllt: bist du denn ein staatsfeind, verdammt?) - sind dem privat seine freaks: jeder weiß das, was normal ist, kauft doch keiner. und wenn man also ein faker im fummel ist, der sich im abendprogramm aller kanäle stellvertretend für eine spezies, zu der man eigentlich gar nicht gehört, lächerlich macht - oder wenn man als transsexueller vielleicht etwas gar naiv ist im umgang mit presse & funk, dann freut sich das medium und klatscht in die hände. wieder einen im sack: schaut her, wahlweise verdorben oder gefährlich, amüsiert euch und ansonsten seid dankbar, dass wir euch vor solchen beschützen. heine sagt, wo bücher brennen, brennen am ende auch menschen. dass "bücher" selbst oft am anfang der brandstifterkette stehen aber...
und so gibt es das alles ja anderswo auch: unsere profizyniker der devise verwurst was du kannst, bei denen man vor lauter verachtung gar nicht weiß, wohin damit, heißen wahlweise bärbel schäfer oder jerry springer.
aber denen tritt immerhin eine kritische öffentlichkeit entgegen im besten falle, d.h. in der regel. und die nimmt man deshalb auf breiter basis nicht ernst und auf jeden peinlichen negativzwischenfall kommt zum ausgleich ja auch 'unter uns' gleich der gute schwule, der alle versteht und in markenjeans für den frieden wirbt. diesen jungen mann, das habe ich mittlerweile gelernt, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. denn hier gibt es ihn nicht.
hier tritt dem monster im fernsehen niemand entgegen und eine domptierte öffentlichkeit ist dem staat deshalb dankbar dafür, dass es ihn selbst noch gibt. bleiben sie dran. menschen, tiere, sensationen - drei dinge in einem, das geht nun wirklich nicht. dachten Sie. hoffte ich.

ohne die finsternis zu hinterfragen.

heute morgen fand ich durch zufall auf den seiten der boell-stiftung die übersetzung der rede von rakel dink, die ich schon vor längerer zeit gerne ins internet stellen wollte. ihre sprache, ihre worte sind nicht gleich den meinen, ins deutsche übertragen klingen vielleicht so oft wiederholte anrufungen wie "mein geliebter/sevgilim" noch eine spur pathetischer. das alles nimmt aber der rede nichts von ihrer bedeutung im doppelten sinne, dass sie wichtig war, berührend - und auch tatsächlich etwas aussagte.

"Ohne die Finsternis zu hinterfragen, die aus einem Baby einen Mörder macht, ist alles Tun vergeblich" - das war die zentrale aussage, die hängen blieb.
Und tatsächlich, mal ganz abgesehen von diesem unvergleichbaren einzelfall: wer das nicht wissen will, was will der?
Gestern ein interview zu lesen versucht in altyazi, einer türkischen kinozeitschrift mit dem regisseur des kürzlich hier angesprochenen barda, serdar akar, übrigens dem selben, der auch für das tal der wölfe - irak verantwortlich zeichnet, bei dem der widerwille den interviewern anzumerken war. Man meint es mit einem komplett debil-infantilen violenzapologeten zu tun zu haben: Über all, gerade in istanbul, ist gewalt um uns rum, und das ist nun mal auch irgendwie so, und die zeig ich euch jetzt also mal, möglichst so hart sie eben sein kann. und am schluss setze ich aber noch ein sahnehäubchen sozialkritik drauf, damit man mir nicht violence pour la violence vorwerfe: die einen sind arm, die andern nicht. ja, würden Sie da nicht zum massenvergewaltiger werden, meine damen und herrn?

Einer frau, der es unendlich mehr zuzuhören gelte, die aber keinen verleih im hintergrund hat, nun das wort:

(ps: nächste woche wird es eine lange geplante konferenz an der bilgi university unter leitung der heinrich boell geben: From the Burden of the Past to Societal Peace and Democracy. Mal sehen, wie sich das aktuelle da mit der langzeitplanung überlappt.)

Rakel Dink:

Es war mir bestimmt, die Ehefrau meines “Çutak”* zu sein. Heute bin ich hier, zutiefst traurig und stolz zugleich. Wir alle - ich, meine Kinder, meine Familie und ihr - wir sind zutiefst traurig. Diese stille Liebe verleiht uns wenigstens Kraft und erweckt eine schmerzliche Freude in uns. In der Bibel heißt es bei Johannes 15,13: “Es gibt keine größere Liebe als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.”

Meine lieben Freunde, wir verabschieden uns heute von der einen Hälfte meines Körpers, meinem Geliebten, dem Vater meiner Kinder, dem Oberhaupt unserer Familie und eurem Bruder. Ihm zu Ehren machen wir diesen Schweigemarsch, ohne Slogans und Transparente, in Ruhe und Respekt vor den anderen, die links oder rechts, vor oder hinter uns gehen. Schweigend erheben wir heute unsere Stimme. Mit dem heutigen Tag beginnen die Abgründe ans Licht zu dringen.

Wer auch immer der Mörder war, wie alt er auch sein mag, 17 oder 27 Jahre, ich weiß, dass er einmal ein Baby war. Ohne die Finsternis zu hinterfragen, die aus einem Baby einen Mörder macht, ist alles Tun vergeblich, meine Brüder, meine Schwestern.

Meine Brüder, meine Schwestern, seine Liebe zur Aufrichtigkeit, zur Durchsichtigkeit, seine Liebe zu seinen Freunden haben ihn soweit gebracht. Seine Liebe, die ihm den Mut gab, der Angst entgegenzutreten, hat ihn groß gemacht. Man sagt, er war ein großer Mann. Ich frage euch: Wurde er groß geboren? Nein. Auch er wurde wie einer von uns geboren. Er ist nicht vom Himmel gefallen. Auch er war aus Staub und Erde und wie wir alle in unserer Körperlichkeit der Vergänglichkeit preisgegeben. Aber die Lebendigkeit seiner Seele, das was er gemacht hat, die Art und Weise wie er es gemacht hat und die Liebe in seinen Augen, in seinem Herzen haben ihn groß gemacht. Der Mensch ist nicht von sich aus groß. Groß macht ihn das, was er tut. Ja, er ist wirklich groß geworden. Er hat groß gedacht und Großes gesagt. Auch ihr habt groß gedacht, indem ihr heute hierher gekommen seid. Schweigend habt ihr Großes gesagt. Auch ihr seid groß. Bleibt nicht stehen an diesem heutigen Tag, begnügt euch nicht damit.

Er hat heute in der Türkei den Anfang einer neuen Zeit gemacht. Ihr habt es besiegelt. Mit ihm haben sich die Schlagzeilen, die Gespräche, die Verbote geändert. Für ihn gab es keine „Unantastbarkeiten“, keine „Tabus“. Ihm ging das Herz über, wie es in der Schrift heißt. Er hat einen hohen Preis dafür bezahlt.

Eine Zukunft, in denen die Preise bezahlt sein werden, ist nur möglich, wenn wir die Hrant’s lieben und an Hrant’s glauben. Nicht mit Hass, Verachtung und Überheblichkeit eines Blutes einem anderen gegenüber ist es möglich, dieses erhabene Ziel zu erreichen, sondern nur wenn wir den anderen wie uns selbst sehen, wie uns selbst respektieren, als Teil von uns selbst respektieren.

Ach, meine Brüder, meine Schwestern, sie haben ihn seinem häuslichen Paradies entrissen, das er mit Jesu Hilfe geschaffen hatte. Sie haben ihn ins himmlische, ewige Paradies fliegen lassen. Noch waren seine Augen nicht müde, noch war sein Körper nicht alt und krank, noch hatte er nicht genug von denen, die er liebte, als sie ihn ins himmlische Paradies fliegen ließen.

Auch wir werden kommen, mein Geliebter, in dieses unvergleichliche Paradies. Dort findet nur die Liebe, nichts als die Liebe Einlass. Nur die Liebe, die höher steht als die Sprachen der Menschen und Engel, als die Weisheit der Propheten, das Wissen um alle Geheimnisse, höher als der Glaube, der Berge versetzt, höher als die Wohltätigkeit, die alles Besitztum den Armen schenkt und höher als die Bereitschaft, sich selbst aufzuopfern, nur die Liebe findet Einlass in dieses Paradies.

Dort werden wir ewig miteinander leben in wahrhaftiger Liebe, einer Liebe, die frei ist von Eifersucht, die nicht nach dem Gut des anderen verlangt, einer Liebe, die niemanden tötet, niemanden erniedrigt, einer Liebe, die den Bruder sich selbst vorzieht, auf eigene Rechte verzichtet, nicht rachsüchtig ist, einer Liebe, die vergibt, einer Liebe, die wir beim Messias finden, die er über uns ausgeschüttet hat.

Wer kann jemals vergessen, was du getan hast, was du gesagt hast, mein Geliebter? Welche
Finsternis kann das alles vergessen machen, mein Geliebter? Alles was passiert ist und passiert?
Kann die Angst es vergessen machen, mein Geliebter? Das Leben? Die Unterjochung? Die
Genusssucht der Welt, mein Geliebter? Oder kann der Tod das alles vergessen machen, mein Geliebter? Nein, keine Finsternis kann das vergessen machen, mein Geliebter.

Auch ich habe dir einen Liebesbrief geschrieben, mein Geliebter. Es hat mich viel gekostet, mein Geliebter. Dass ich das alles schreiben konnte, verdanke ich Jesus. Lassen wir auch ihm sein
Recht. Geben wir allen ihr Recht zurück, mein Geliebter.

Du hast dich von deinen geliebten Menschen getrennt.

Du hast dich von deinen Kindern,

deinen Enkeln getrennt.

Du hast dich von all denen getrennt, die dich heute hier verabschieden.

Du hast dich von meinem Schoß getrennt.

Von deinem Land hast du dich nicht getrennt.

*Çutak (armenisch) – Geige / Rakel Dinks Kosename für ihren Mann

Samstag, 10. Februar 2007

"Somehow it seems to fill my head with ideas--only I don't exactly know what they are!" -- Alice

'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.
'Beware the Jabberwock, my son!
The jaws that bite, the claws that catch!
Beware the Jubjub bird, and shun
The frumious Bandersnatch!'
He took his vorpal sword in hand:
Long time the manxome foe he sought--
So rested he by the Tumtum tree,
And stood awhile in thought.
And as in uffish thought he stood,
The Jabberwock, with eyes of flame,
Came whiffling through the tulgey wood,
And burbled as it came!
One, two! One, two! And through and through
The vorpal blade went snicker-snack!
He left it dead, and with its head
He went galumphing back.
'And hast thou slain the Jabberwock?
Come to my arms, my beamish boy!
O frabjous day! Callooh! Callay!'
He chortled in his joy.
'Twas brillig, and the slithy toves
Did gyre and gimble in the wabe;
All mimsy were the borogoves,
And the mome raths outgrabe.


nach einer langen lesesessionnacht zu transnational identity politics, wo die fragen tanzen lernen, ist es doch oft ganz gut, kurz innezuhalten und zu den ganz großen klassikern zurückzukehren, die das alles noch so viel eindeutiger und anschaulicher zu formulieren wussten...

(The poetics of postmodern anthropology are not only fuzzy, they are supposed
to be fuzzy, sagt Ted C. Lewellen in Anthropology of Globalization : Cultural Anthropology Enters the 21st Century. nachzulesen auf seite 104 - that's why ;)

Freitag, 9. Februar 2007

du bist so wunderbar.

‘Eigentlich war Deutschland nie ein Ort, es war immer eine Utopie.’ zitiert axel schultes elegisch heiner müller und meint selbst damit berlin, bzw. dass es diese auch immer bleiben wird. optisch vor allem.


und zu diesem offensichtlich ziemlich intelligenten menschen, dessen größter traum es wäre, einmal eine moschee zu bauen, einen ort wie die hagia sofia oder wie al-andaluz, wusste ich bis jetzt so gut gar wie nichts, weil es mir beispielsweise auch so überhaupt nicht interessant vorkam, den namen des architekten des bundeskanzleramtes zu kennen. wozu auch? dachte ich. schade.

Donnerstag, 8. Februar 2007

referring to language once again..

...und fast (ich sagte: fast) ist es ein bisschen schade, dass ich wohl an genau diesem juniwochenende dieses jahr nicht in berlin, sondern wieder in istanbul sein werde, denn da endet das gesamte, weltweite langzeitprojekt des goethe-instituts die macht der sprache (ja, auch über den namen ließe sich streiten, was auch immer man aber von ihm hält, eine durchaus auch subversive lesart zu ihm ist möglich) mit einem großen abschlusswochenende in der hdk, wo aus aller herren länder zu mehrsprachigkeit und identität, sprachenpolitik und wissenschaftssprache alle wild durcheinander reden.
und das hätte mich nun wirklich interessiert.

Mittwoch, 7. Februar 2007

alles auf einen haufen!

ach so, hab ich das eigentlich schon gesagt: ich bin übrigens sehr, sehr für das humboldt-forum.
und dann auch sehr, sehr neugierig auf die, die für einen solchen ort ernsthaft nicht sein können - und wieso.

paroleparole, also auslegungssache...?

und ich habe bislang berlin eigentlich immer als eine ausgesprochen weltoffene stadt empfunden. man ist versucht, hinter dem ganzen wirbel wirklich ein vor allem ethymologisches, bürokratendeutsches, äußerst unsensibel verursachtes übersetzer-problem zu suchen. (jeder, der zum beispiel in seinem leben schonmal auf einer englischsprachigen datingsite war, wird schließlich da auch ein befremdliches feld mit race oder ethnicity gefunden haben - nur, dass man da einen relativ engen vorformulierten rahmen von "rassen" serviert bekommt, aus denen man sich eine für sich aussuchen kann, wenn man denn will. bist du nun asian oder caucasian oder was denn nun?

jedenfalls ein gefundenes fressen für die hürriyet - der schwester bild durchaus nicht vorzuziehen. das wird noch schön ausgeschlachtet werden. willkommen also zu einer neuen schlammschlacht in der welt der blätter und daten und meinungen und derer, die sich von ihnen mitmachen lassen...äußerst gespannt, was dazu in der türkei selbst gesagt werden wird.

hier der spiegel-artikel jedenfalls in gesamter länge:

RASSISMUS-VORWURF

Berliner Einbürgerungsformular sorgt für Empörung

Von Hani Yamak und Sven Röbel

Ein Behördenformular hat in der Hauptstadt politischen Wirbel ausgelöst: Wer sich in Berlin einbürgern lassen will, soll der Verarbeitung von Daten "zur rassischen und ethnischen Herkunft" zustimmen. Nun folgen unangenehme Fragen an den Senat.

Berlin - Das Formular Nummer "I C 228 - Erklärung zum

Einbürgerungsantrag" ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Verwaltungsvordruck: Ein schlichter, grauer Fragebogen, der in Berliner Amtsstuben ausliegt, und in dem Einbürgerungswillige unterschreiben sollen, dass staatliche Stellen Auskünfte über ihre persönlichen Verhältnisse einholen dürfen. Über Sozialhilfebezüge etwa, über steuerliche Verpflichtungen oder den Erhalt von Leistungen vom Arbeitsamt.

Ausriss aus Berliner Behördenfragebogen: Einverständnis zur Verarbeitung von Daten "zur rassischen und ethnischen Herkunft"

Nur der letzte Absatz wirkt befremdlich: "Ich erteile ferner ausdrücklich meine Einwilligung", steht da geschrieben, "zur Verarbeitung" von "personenbezogenen Daten besonderer Kategorien, hier zur rassischen und ethnischen Herkunft."

Der Passus, dessen Vokabular an den NS-Jargon des "Dritten Reichs" erinnert, ist seit Jahren bürokratische Realität in der deutschen Hauptstadt. Doch bislang nahm niemand Anstoß an den seltsamen Formulierungen - bis der rot-roten Landesregierung jetzt eine Kleine Anfrage des grünen Abgeordneten Özcan Mutlu auf den Tisch flatterte: Mit Datum vom 16. Januar stellt der Parlamentarier peinliche Fragen an den Berliner Senat: Ob die "Zugehörigkeit zu einer bestimmten 'Rasse'" denn ein "relevantes Kriterium bei der Einbürgerung" sei, will Mutlu wissen. Auf welchen "wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien" die Einteilung in "Rassen" denn basiere oder was der Senat unter "rassischer und ethnischer Herkunft" überhaupt verstünde.

Eine deutsche Behörde, die 62 Jahre nach Kriegsende derart anrüchiges Vokabular in ein offizielles Dokument druckt - der Vorgang birgt in der Tat politischen Zündstoff. "Muss man seine Hautfarbe angeben, wenn man Berliner werden will?", fragt Mutlu. "Ich will dem Senat keinen Rassismus vorwerfen, aber ich finde es unglaublich, dass offenbar niemand diese Formulierungen in einem amtlichen Formular bemerkt hat", sagte Mutlu SPIEGEL ONLINE.

Heftige Debatte in der türkischen Presse

Mutlus Anfrage, die Innensenator Ehrhard Körting (SPD) nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am kommenden Montag ausführlich beantworten will, hat in der türkischen Presse bereits eine heftige Debatte entfacht. Die Boulevard-Zeitung "Hürriyet" titelte als Reaktion auf Mutlus Fragenkatalog: "Ära der Rassen-Befragung in Berlin". Der Hürriyet-Kolumnist Mehmet Y. Yilmaz kommentierte: "In Berlin beweist eine Einverständniserklärung, die von einbürgerungswilligen Ausländern erwartet wird, dass der Rassismus immer noch eine allgemeingültige Ideologie im heutigen Europa ist."

Vertreter mehrerer türkischer Vereine und türkischstämmige Abgeordnete bezeichneten die Einverständniserklärung laut Hürriyet als "Skandal". Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Berlin, Taciddin Yatkin, wird unter der Überschrift "Rassismus-Klausel - Was ist das?" mit den Worten zitiert: "Wird da etwa auf die Rasse geschaut und dann abgelehnt? Das spielt den Neonazis in die Hände."

"Hürriyet"-Ausriss vom 1.Februar: "Gibt es eine gefährliche Rasse?"

In der Berliner Innenbehörde, in der man zunächst um äußerste Diskretion bemüht war, weist man die Vorwürfe mit Nachdruck zurück und bezeichnet die Hürriyet-Geschichten intern als populistische "Kampagne". Die auf der Datenschutz-Erklärung befindlichen Formulierungen "rassische und ethnische Herkunft" seien wortwörtlich aus dem Berliner Datenschutzgesetz übernommen und dienten lediglich der juristischen Absicherung für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Der Wortlaut auf dem Formular stimme exakt mit der Europäischen Datenschutzrichtlinie 95/46/EG überein, aus der das Bundesdatenschutzgesetz sowie entsprechende Landesverordnungen hervorgegangen seien.

Tatsächlich heißt es im Berliner Gesetz, dass "personenbezogene Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit oder die die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen" nur in Ausnahmefällen verarbeitet werden dürfen - etwa wenn die betroffene Person hierzu ihr ausdrückliches Einverständnis erteilt.

"Rasse" wird in Europa unterschiedlich definiert

Dabei wird der Begriff "Rasse" in europäischen Ländern höchst unterschiedlich definiert: Die Zuschreibungen in der britischen Staatsbürgerschaft wurden in Großbritannien etwa sowohl nach "Rassenkategorien" als auch nach geographischen Verortungen gemacht: "White", "African" oder "Asian". In Deutschland dagegen wird das Wort wegen den "Nürnberger Rassengesetzen" von 1935 mit Nationalsozialisten, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung verbunden.

Aber warum verlangt dann die Berliner Innenbehörde eine explizite Einverständniserklärung zur Verarbeitung von Daten zur "rassischen und ethnischen Herkunft"? Die Antwort fällt kompliziert aus. Denn im eigentlichen Einbürgerungsantrag, so ein Mitarbeiter der Innenbehörde, würde weder nach dem einen noch dem anderen gefragt, sondern lediglich nach "normalen" Personendaten wie Geburtsort und -staat oder Staatsangehörigkeit.

Zusätzlich stünde es dem Einbürgerungswilligen allerdings frei, die Rubrik "Volkszugehörigkeit (Nationalität)" auszufüllen, wenn er sich denn einer solchen zugehörig fühle. Nach Aussage des Mitarbeiters könnten hier beispielsweise Bezeichnungen wie "Kosovo-Albaner, Roma oder auch Jude" eingetragen werden, wobei diese lediglich dem besseren Verständnis der persönlichen Umstände des Antragstellers dienten, "etwa bei Flüchtlingsschicksalen". Die entsprechenden Daten würden auch nicht gesondert erfasst und hätten nicht den geringsten Einfluss auf den Erfolg des Einbürgerungsantrags.

Doch um diese Daten überhaupt verarbeiten zu dürfen, bräuchte eine Behörde gemäß Datenschutzgesetz eben eine entsprechende Einverständniserklärung. Die expliziten Formulierungen "rassische und ethnische Herkunft" hätte man nur in das Formular aufgenommen, um dem Antragsteller transparent zu machen, um was es in dem entsprechend angeführten Paragraphen "6a (2)" überhaupt geht.

Eine Gefahr, dass das Vokabular an die NS-Zeit erinnern und zu heftigen Missverständnissen führen könnte, sieht der Mitarbeiter nicht. Auch habe sich bislang niemand beschwert. Dennoch rechne man damit, dass die Worte "rassisch" und "ethnisch" in Kürze aus dem Formular entfernt würden.

In anderen Bundesländern, etwa in Nordrein-Westfalen, tauchen sie erst gar nicht auf.