Dienstag, 6. Februar 2007

hirnausfluss.

jetzt schreibt also sogar schon die new york times in aller ausführlichkeit über den deutschen brain drain - und man bekommt fast ein schlechtes gewissen, vor dem einen nur ("die besten geister dieses landes"!) die bescheidenheit rettet.

argumentiert wird vor allem ökonomisch und ergonomisch und die "besten" die dann gehen, tun dies dann vor allem auch der times zufolge, um sich in den vereinigten staaten oder im nachbarland schweiz dumm und dämlich zu verdienen. freiheit ist ein kabriolett und das einzige, was familie thoma nach eigenaussage später in kanada mal vermissen würde, sei, nach deren bekunden, "deutsches fernsehen und die autobahn". man kommt sich vor, als hätte der redakteur ein zitat für das land, aus dem kraftwerk kommt, gesucht.

weber'sches konter auf die ökonomietheorie (das wohl sofort als erzkonservativ und kurzsichtig attackiert werden wird) und zwar von jemandem, der wie so ziemlich jeder typisch junge deutsche von heute sich in alle nur denkbar angebotenen sprachkurse der vhs oder der sprachenzentren stürzt, der pflichtbewusst für eine reise abroad sein kleines langenscheidtelchen einsteckt, wenigstens noch so geringer kommunikationsgelegenheiten in der jeweils einheimischen zunge wegen: eine kultur schafft sich seine lage ja auch irgendwie selbst, nicht?
und sicher, jede sprache bereichert sich durch fremdes wortgut, purismus ist ein schimpf und schand auf unwissen gebaut, im deutschen lässt sich das lange nachvollziehen bis in die morphologie hinein: wäre aus den komplexesten gründen zb über jahrhunderte jeder noch so kleine graf kein frankophiler gewesen, hätten sich wohl auf dauer die tätigkeitswörter auf -ieren
nicht als eigenständige verbgruppe bei uns niedergelassen. und schön sind sie ja. sinnieren zum beispiel. oder parieren.
dabei ist der germanist in der regel viel besser vorbereitet darauf als seine kollegInnen aus den nachbarsprachen, diese kontakte aufzuzeigen, bis ins kleinste aufzudröseln, und anschliessend aus der wissenschaft ein politisches argument zu machen: seht her, sprachen sind nun mal so.
und wir lachen über die franzosen und ihr toubon-gesetz (und wie lange habe ich mitgelacht), mit dem sie dem imperialistischen anglo-saxon von über dem kanal oder dem atlantik einhalt gebieten wollen. das kann doch nicht deren ernst sein, wie soll denn das jemals...aber oft genug hat es eben auch funktioniert, und selbst wenn es eine typisch französische don quichotterie sein sollte, zeigt es wenigstens eine völlig andere haltung zur sprache.

wie kam ich nun von familie thoma auf die loi toubon? eine englischsprachige zeitung beschreibt den deutschen status quo mit einem knackigen wort für akademikermigration und mir will partout keine entsprechung in der sprache des landes, über das geschrieben wird, einfallen.
was mich an mir persönlich ärgern könnte, da ich sprachspielereien nunmal sehr zugetan bin - was aber darüber hinaus, ja auch das nichts neues, trauriges symptom ist: wenn eine sprache flächendeckend so gar nicht mehr, aber auch so überhaupt gar nicht mehr zum wortwitz einlädt, zum neologismus und zum griff in eine an sich prallvolle (eben durch sprachkontakt mitgewachsene) kiste von morphemen, wozu ist sie denn dann noch da?
jüdische dichterinnen wie nelly sachs oder hilde domin, die nach dem holocaust in der ganzen welt verstreut lebten, hätten eines nie preisgegeben: eine rose als stütze. sprache als heimat.
der deutsche selbst sieht das anders und wirft gerade diese begeistert als erste über bord: heil fremdwort. er singt parole, parole und sein audi heisst quattro.
franzosen, engländer und deutsche machen einen film zusammen, in dem freundlicher weise die deutschen im world war eins mal keine monster sind: in frankreich heisst er joyeux noel, in england merry christmas und in deutschland siehe england.
feiert man einen geburtstag ausser haus, dann wird von bon anniversaire über cumpleanos feliz in der regel alles geboten, und ich singe mittlerweile alles gute für dich, weil es mir schlicht zu blöd geworden ist, den anderen ein internationalized german happy birthday zu präsentieren.
dabei ist der deutsche durchaus nicht, wie der franzose und der amerikaner naiv vermuten, von natur aus sprachbegabter("oh you germans, for you english is just second nature"). wieso lernt er dann trotzdem fast in allen fällen, die mir bekannt sind, auch hier das türkische schneller als seine mit-'eifernden'?
tatsächlich fing es hier an, mir auf die nerven zu gehen. nicht in frankreich, nicht in paris, wo es eine traditionelle, völlig selbstverständliche, von beiden seiten akzeptierte, geheime übereinkunft gibt, dass das deutsche ein irgendwie peinlicher unsinn ist, dem französischen nicht ebenbürtig. (nicht umsonst sagen sie dort, wenn sie deutscher film meinen: fassbinder. der war so wild, so unzivilisiert, so arbeitsbesessen.)
diese vorstellung gibt es hier nicht. eigentlich gibt es oft überhaupt weiter keine genauere vorstellung zu d-land, weder schlecht noch gut. man ist im besten falle neugierig.
und so sagte ich dann ton steine scherben, einstürzende neubauten, stereo total, ein bisschen element of crime (ja, die singen deutsch - deine lakaien, die heissen deutsch, singen aber andersrum), can (nein, die singen eigentlich überhaupt nicht, haben aber tolle musik gemacht), cora frost, hildegard knef und karel gott.
so richtig viel fiel mir nicht ein. viel mehr hätte mir aber einfallen wollen!
letzten freitag war alec empire hier im babylon und ich bin auch mit einem freund hin, das war mir nach einem moment dann aber irgendwie peinlich und müde war ich auch. ich weiss also nicht, ob er noch immer so ausdauernd wie früher schreit "deutschland has gotta die!". das ist kritisch, das ist fashionable, das ist englisch, denn die welt soll ihn ja verstehen, die deutschen tun es sowieso.

neulich dann: abends auf dem nachhauseweg, manchmal kommen einem merkwürdige ideen, und so sangen wir denn spazierend schlaflieder in den jeweiligen sprachen, auf katalanisch, türkisch, kurdisch (!) und deutsch. ich: guten abend, gute nacht. musste aber ganz schön suchen, ehrlich gesagt, länger als die andern.

im türkischen, einer sprache übrigens, für die mein herz immer mehr schlägt, die aber bis jetzt nicht gerade durch soziologische literatur hervorgetreten ist, habe ich gestern durch zufall ein interessantes wort gelernt: es heisst "ötekileştirmek". es bedeutet, den anderen, dadurch, dass man sagt, er sei eben anders, auszugrenzen. ein wort, das gerade für die türkische realität von nicht zu unterschätzender bedeutung ist, sicher. es hat aber seine wurzel nicht im türkischen.
automatisch fiel mir denn auch ein entsprechendes bild aus einem seminar der europäischen ethnologie ein, zusammen mit tonspur, und so konnte ich mir das wort auch sofort rückübersetzen: wir sagen "othering". das muss man sich mal klarmachen. wir sagen: wieso otherst du mich denn so? jetzt hör doch endlich auf mich zu othern, bitte schön.

hirnausfluss eines verhalten konservativen

ps: natürlich liege ich mit all dem hier ausgebreiteten letztlich wissentlich total im trend; so hat judith holofernes nun ein kind bekommen und es demonstrativ friedrich genannt. genau wie meine großmutter meinen vater 1939...

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