für eine türkische freundin, deren meinung zu
vielem mir heute sehr wichtig gewesen wäre,
die aber wegen grippe sehr früh ging.
leider spricht sie kein deutsch.tatsächlich habe ich den kopf noch so voller spannender fragen, neu erfahrener themen und ansätze, denen es nachzugehen gälte, allen sprecherInnen und ihren ansätzen mit einer kurzen zusammenfassung gerecht zu werden, dass es recht schwer ist, alle notizen hier gleich zu einem konzisen und restlosen resumé zusammenzuführen. was solls.
wie gesagt, der englische titel der heutigen konferenz war: From the Burden of the Past to Societal Peace and Democracy/Coming to Terms with the Past.
viele nahmen an, erst recht nach der ermordung hrant dinks, dass dieses nun eine konferenz zuallererst über den genozid an den armeniern werden sollte. und tatsächlich war dieser auch, von manchen bei diesem namen genannt, von manchen nicht, der immer wieder angeschnittene bezugspunkt.
aber er war es eben zu einem gewissen grad auch wieder nicht, und ganz bestimmt war er als solcher nicht im titel der konferenz erwähnt.
das hat verschiedene wichtige gründe: der erste ist ein ganz praktischer: bis heute ließe der staat (d.h. die jeweilige regierung) es schlicht nicht zu, eine konferenz in der türkei so zu benennen. ob das so bleiben wird?
der zweite jedoch ist ein sehr viel entscheidenderer, und der hat sehr viel mehr mit dem, was ich in dem eintrag vorher ansprach, zu tun: es ist einfach ungeheur schwierig, dinge zu benennen, wenn man sich nicht klar darüber ist,
wer zu
wem spricht, sprechen
soll, weil es von
wem anderen verlangt wird.
people have the power, singt patti smith in altoptimistischer spontimanier, aber wer sind diese leute?
dass gesprochen werden muss, darüber waren sich heute alle einig - aber worüber genau und auf welche weise, von welche perspektive, darüber gab es jedoch erstmal nur die verschiedensten ansätze zu erhorchen: von türken, deutschen, einem französischen professor osmanischer geschichte in brüssel, einem österreicher, einem südafrikanischen berater der truth comission, aus den bereichen internationalen rechts, der philosophie, der geschichte, der konfliktarbeit, mit beispielen, neben den einsamen, traurigen 'leuchttürmen' des armenischen und des deutschen völkermordes, aus so vielen anderen ländern, so vielen verschiedenen bewältigungsversuchen oder auch nicht (südafrika, ruanda, uganda, chile, argentinien, libanon etc., andere bezugsländer waren spanien, portugal, polen und russland, israel und die westbank), dass es eine ziemlich verbindungslinienöffnende debatte wurde.
weg vom eurozentrismus auch bei diesem thema könnte einer ihrer leitfäden genannt werden.
ein zweiter, und dieser auch von ulrike dufner in ihrem vorwort zum begleitbuch deutlich ausgesprochen: eine diskussion anregen, indem man ein scheinbares thema explizit
nicht zum thema macht.
hierzu vielleicht eine vorabbemerkung, die mir persönlich nicht ganz so sinnlos scheint:
bezeichnenderweise, und wie es mich ehrlich gesagt sehr freute, war es eine
deutsche (den grünen zuzuordnende) NRO, die diese konferenz hier in der türkei mit
türkischen intellektuellen zusammen planen wollte und organisierte. bezeichnenderweise hielt deren hiesige leiterin, ulrike dufner, die begrüßungsrede in einem guten, aber eben
gelernten türkisch. etwas sehr schönes meiner meinung nach. alle anderen sprachen englisch oder türkisch als muttersprache .
bezeichnenderweise sage ich deshalb, da es auch andere europäische institutionen hier gibt, die gute arbeit leisten, viele französische zum beispiel.
wieso nun organisierte gerade eine französische institution nun gerade eine konferenz zu diesem thema
nicht. sicher, spekulation könnte man meinen. seit ségolène royale in frankreich in einer großen selbstverständlichkeit das gesetz gegen die leugnung des armenier-genozides durchbrachte, ist das institut francais hier übrigens permanent von polizei geschützt vor wütenden nationalisten.
ich meine tatsächlich, eine institution anderer herkunft, also nicht-deutscher, hätte nicht unbedingt nicht das
recht, aber vielleicht eben eher nicht die (gelebte)
erfahrung gehabt, ein solches thema hier sensibel anzubringen, als eben eine, deren land den bekanntesten völkermord der weltgeschichte auf dem gewissen hat (und das hat es eben - dass der begriff genozid aber tatsächlich
vorher schon für eben den an den armeniern geprägt wurde, ist sehr viel weniger bekannt. nur ein land, das selbst weiss, bzw. immer noch zu wissen versucht, was es heißt, für ein solches verbrechen verantwortlich zu sein, kann vielleicht auch, wenn es das sensibel angeht, und nicht etwa feixt: ha, du also auch!, einen dialog hierzu bei einem anderen land mit anregen.
die vorstellung, dass frankreich das könnt - diese vorstellung ist tatsächlich etwas abwegig für mich.
und so war denn auch tatsächlich noch vor dem "g-word" (an den armeniern), wie ihn pieter lagrou in einer äußerst riskanten ironisierung umschrieb, der häufigste ausgangs- und bezugspunkt aller anderen verbrechen gegen die menschheit, auf den immer wieder referiert wurde, eben auschwitz. spannend an der debatte war aber in sehr vieler hinsicht nun folgendes: nicht, um den einen (holocaust) in einem land bereits anerkannten völkermord zu schmälern, nicht um den anderen, noch bevor er von dem anderen land akzeptiert wurde, zu banalisieren (den ~1915), versuchten doch alle referentInnen mit allen beispielen, die gesamte um diese kreisende debatte zu dynamisieren, auszuweiten, mit jenen zu kombinieren und interagieren zu lassen: was ist ein solches verbrechen (juristisch eine ungeheuer schwere frage:
icc)?
und viel mehr noch: was ist ein verbrecher, eine verbrecher-
gruppe? was ein opfer, ein opfer
kollektiv? gibt es hierfür
essenzen oder sind dies nicht (auch)
kontextuelle termini? ist ein opfer immer ein opfer und ein täter immer ein täter und wenn man sagt, dass sie es nicht sind, schmälert man dann die schuld des einen und die würde des anderen? wie trauert man, wie sühnt man, wie entsteht daraus jeweils politik?
lässt sich vergangenheit "bewältigen" (der konfliktphilosoph hans köchler) oder ist das semantisch nicht unlogisch und geht es nicht viel mehr um
erinnerungskulturen und die vergangenheit als solche ist ein fait accompli und unantast- und -wandelbar eben in der vergangenheit?
(anm: der titel der konferenz hatte keinen deutschen titel, leitete sich aber direkt von einem deutschen wort her, unübersehbar:
coming to terms with the past:
vergangenheitsbewältigung. auch dieses wort schmeckt bitter. an ugly german word, so norbert frei, der die etappen der holocaust"rezeption" im nachkriegsdeutschland zu beschreiben versuchte, und dass der begriff nicht so schal gemeint war, wie er klang. wieder ein nicht-wort im konstanten sprachversagen.)
wieso und in welchem maße wächst einer gruppe die aufgabe zu, sich mit ihrer historischen schuld auseinander zu setzen zu, einer anderen
nicht? was will diese gruppe dann von der anderen, wer ist in dieser gruppe, welche untergruppen und -parteien? welche rolle spielt die auf beiden seiten vergehende zeit, geschichte, nun dabei? dass diese aufgabe wie bekannt gewöhnlich einem verlierer von einer siegerpartei angetragen wird, macht die schuld selbst um überhaupt nichts kleiner. aber es stellt die
sieger (zumindest in einem komparativen 21. jahrhundert) in ein immer fragwürdigeres licht. gewinnen heisst, sich als das
gute gegen ein gott sei dank überwundenes
böses zu konstruieren, im besten falle macht der besiegte komplett mit. gewinner sein heisst zum beispiel auch, dass ein
algerier lange diskursiv nicht den geringsten einfluss auf die französische
historiographie (link lesenswert) haben konnte. gewinnen heisst, eine swastika auf george bushs stirn an einer hauswand zu malen und selbst der größte depp wird begreifen: aha, übel, übel, hier haben wir es mit dem
absolut bösen zu tun. das hakenkreuz selbst ließe sich so als mittlerweile absolut polyfunktional beschreiben: egal, wo etwas nach unterdrückung riecht, papp ein kreuzchen drauf und der ottonormalverbraucher aller länder hat schon verstanden. sein referent jedoch und auch seine ungeheuerlichkeit lässt sich mit nichts vergleichen: es ist deutsch und an dämonischem gibt es kein symbol der welt, das sich mit ihm messen könnte. das scheint mir nun anachronistisch im besten sinne des wortes.
und das bemerke ich als jemand, der von sich ernsthaft glaubt, mit ungerechtigkeit
jeglicher art ein großes problem zu haben, der aber aus dem selben grund ein grausen vor allen niedlichen vereinfachungen mit verheerenden auswirkungen hat. alles, was sich kritisch mit einer gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, auseinandersetzt, ist nur zu begrüßen. alles, was diesen zustand einfriert, und ein für allemal die plus und minuspole entdeckt zu haben scheint, und zwar sowohl wenn man eine andere gruppe beschuldigt, und damit annimmt, historisch von nun an der gute zu sein, als auch für sich die dauermiesepeterkarte akzeptiert und nicht mehr kritisch über den anderen sprechen darf - ist mir suspekt. das schmeckt zu sehr nach bequemer gemütlichkeit, und wenn es um diese in diesem kontext geht, dann lässt sich plötzlich ein solch "deutsches" wort plötzlich ganz wunderbar in viele sprachen übersetzen, aber beim denken hat gemütlichkeit für mich nichts zu suchen, denn sonst ändert sich nichts.
so, hiermit sollte ich so langsam also mal übergehen von den vielen eindrücken der konferenz und den ersten wichtigen impulsen, die mir spontan dabei in den sinn kamen, auf die sprecherInnen
selbst und was diese denn nun
konkret zu all dem gesagt haben:
- freundInnen, leserInnen - das wurde gestern abend (also jetzt ist demnach sonntag zur selben zeit, nicht mehr samstag) nicht mehr fertig. viele sachen sind paragraphig ausformuliert, ein ganzes ist es noch nicht, heute kamen noch so viele neue details, vorträge, kommentare hinzu, auch diese fügen sich erst jetzt zusammen - es gab so spannende präsentationen u.a. von marianne birthler zur stasi, sowie einer israelin, deren eltern aus rumänien vor den nazis geflohen sind, und die in der westbank aufwuchs, über "zohod", eine ihrer meinung nach nur dem anschein nach pro-palästinensische gruppe, die aber in wirklichkeit die palästinenser, ohne den israelischen status quo nicht im geringsten in frage zu stellen, für sich vereinnahmt, aber nicht
sprechen lässt - es gab so viel, und ein so spannendes, bewegendes schlussforum, auf dem nur türkische IntellektuellInnen sprachen, die zuerst zwar alle meinten, eigentlich hätten sie gedacht, gar nichts zu sagen zu haben, aber nun, wo sie erst einmal anfingen, purzele es nur so aus ihnen heraus - jeder auf einen anderen punkt aufmerksam machend, jeder durch die verschiedenen bereiche aus denen die letzten zwei tage aus anderen und über andere länder referiert wurde, für sich einen anderen nutzen ziehend, - das braucht zeit zum ausformulieren. für mich auch.
ausserdem kommt jetzt eytan fox' neuester film als letzter im festival und da muss man doch hin.
in längerer fassung aber bald mehr. vielleicht aber nur das: da schuldfragen auch etwas mit macht zu tun haben, und mit ansprüchen, die verständlicherweise von verschiedenen opfergruppen durchgesetzt werden wollen, internationalen und intranationalen, war eine der brennendsten fragen im forum untereinander diese: ja, wo soll man denn anfangen, welches opfer ist denn das "wichtigste": die vom sivasmassaker, die vom coup d'etat, die kurden, die armenier, wie könnte die hierarchie denn aussehen - und fängt man chronologisch von hinten an oder von rückwärts mit hrant dink? und: wie sensibilisiert man einen ganz großen teil der bevölkerung überhaupt für solche fragen - denn bis jetzt ist es tatsächlich unglaublich, dass das ausland von einer bevölkerung verlangt, ein verbrechen von vor 90 jahren einzugestehen, dessen sich die meisten aus den verschiedensten gründen (vor allem medialer natur) tatsächlich nicht
bewusst sind?
spannend auch: die debatten darüber welcher natur denn die verbrechen aneinander/untereinander anderswo waren: beging nur eine gruppe ein verbrechen an einer anderen oder war es gegenseitig? welche parallelen ließen sich denn für konflikte hier finden?
und: liesse es sich irgendwie vermeiden, hierarchien von in sich abgekapselten opfergruppen zu kreieren, die jeder nur an ihrem eigenen leid hängen, jede nur ihr eigenes memorial wollen?
tatsächlich fand ich den satz, den ich von hrant dink irgendwann mal im stern fand, nicht nur sehr großmütig und weitsichtig, sondern auch einzig
realistisch:
"Aber wenn danach (nach der Anerkennung armenischen Leids) die Probleme der Kurden, der Alewiten, der Frauen und der Homosexuellen weiterhin bestehen bleiben, war alles umsonst."
wenn eine gruppe nicht gleichzeitig auch die opfer bei anderen sehen kann, wenn sie sogar (was noch viel schwieriger ist) nicht gleichzeitig auch sehen kann, dass vielleicht sogar eine opfergruppe als "mittäter" gegenüber einer anderen fungiert haben kann (so waren bei vielen übergriffen der ottomanen auf die armenier kurden wesentlich beteiligt), dann macht eine opfer- und bekenntniskultur dauerhaft keinen sinn.
dasselbe ließe sich übrigens auch für das von schwulen ja schon so lange geforderte ns-
manhmal auch für diese schicksals'gemeinschaft' sagen...
und jetzt nur ein letztes wort noch, bevor ich renne: es war gleichzeitig ein sehr schönes erlebnis, dabei gewesen zu sein - und etwas wehmütig auch: danach sprach ich mit dem praktikanten der boell aus hamburg. er ist erst seit drei wochen dabei, konnte mir aber den ganzen ablauf der konferenzvorbereitung bestens erklären. seit drei wochen. und will lange bleiben. ich sagte ihm, ich sei übrigens von der tarih vakfi, istanbulmuseum, ach ja, davon habe er gehört. sei das nicht schon ganz lange geplant, wie laufe das denn?
es laufe
nicht, erklärte ich ihm, und das war mir unangenehm. acht monate auf professioneller ebene zeit vertan sozusagen. und so eine schöne konferenz auf der anderen seite.
tja, dieser jens von der böll soll mich auf jeden fall ein bisschen auf dem laufenden halten über deren arbeit hier. :-)