ich dachte ja bis jetzt, ich sei schon auf ein paar großen demos gewesen. diese heute schien mir aber um einiges größer als alles vorherige (wenn ich den berliner csd mal außen vorlassen darf). heute morgen gegen halb 12 begann der größte trauermarsch, bei dem ich persönlich jemals mitgelaufen bin, an der station osman bey, in der nähe unseres hauses. und zog sich bis bis weit in den nachmittag und von der erwähnten station bis kumkapi, was wohl locker 10 km sein dürften. ehrlich gesagt, kann ich aber gar nicht viel dazu erzählen - nur vielleicht, dass es ein unglaublich gutes gefühl war, mitgegangen zu sein. an transparenten gab es vor allem: wir sind alle hrant dink, und zwar sowohl auf türkisch als auch auf kurdisch und armenisch oder: heute bin ich armenier. das selbstgeschriebene pappschild, das mich am meisten verstörte, besagte: türküm utaniyorum. ich schäme mich, türke zu sein. nicht besonders beeindruckend, für ein land, das eine ganze generation junger punks mit songtiteln wie "deutschland muss sterben, damit wir leben können" versorgt hat, aber ein riesenakt in der türkei, an der einem an jeder ecke eine ernste gipsbüste verkündet, man habe ob seiner türklük bitte schön glücklich zu sein. ich sah den mann am anfang der demo, bis zum ende sah ich ihn immer wieder. niemand schien sich an dem schild ernsthaft zu stören, niemand schlug es ihm aus der hand. sind menschen durch demonstrationen lernfähig? ist ein land durch solche demonstrationen lernfähig? - wenn man eine sprache nicht wie seine muttersprache beherrscht, fallen ganz ernste, genau abwägend gemeinte fragen plötzlich sehr allumfassend aus. aber tatsächlich meinten daraufhin viele menschen, denen ich genug kritischen verstand zutraue, allen ernstes: ja, diesmal ja.
und so ist es auch auf keinen fall abwertend hrant dink gegenüber gemeint, wenn ich jetzt sage, dass, owbwohl oder weil er auf dieser demo von so überwältigender präsenz war, das eigentlich wichtige ihn auf dieser weit hinter sich ließ. (das werden wohl die wenigsten so explizit gedacht, die meisten aber zumindest so empfunden haben.) ehrlich gesagt kannte ich ihn ja selbst namentlich bis freitag nicht, und die meisten hier sind nun auch mal keine großartigen zeitungsleser, schon gar nicht von einer solch kleinen wie birgün oder einer noch kleineren und dann auch noch armenischen wie agos.
und so ging es also hier nicht nur um einen sicherlich unersetzbaren menschen, über den ich erst nach und nach mehr erfahre: es ging vielleicht vor allem um ein klima der angst, das über die jahrzehnte so viele ganz selbstverständlich apolitisiert hat und die implizite frage, wo das vielleicht herkommt. und so war denn auch, wenn auch nur ein demonstrant so weit ging, sich heute seines türkischseins zu schämen, das zweithäufigste transparent der gesamten demo: katil 301. der mörderparagraph 301. wenn man einem gesamten land von klein auf predigt, es solle sich seines türkischseins freuen und wenn man dann noch einen drauf setzt mit einem paragraphen, der systematisch dissidente stimmen, die diese vorgegaukelte einigkeit hinterfragen, auszuschalten versucht, möglichst, noch bevor sie den mund aufmachen, dann ist es eben verlogen, nachher einen 17jährigen an den pranger zu stellen, und hinter vorgehaltenem fäustchen darauf zu warten, bis der nächste kommt. und das haben glaube zumindest ich heute alle so empfunden.
(ps: die leichte ernüchterung und das eigentliche resümé einer großen emotionalen undwennwirallegemeinsamlalalademo kommt ja dann aber meistens erst anschliessend, durch ganz kleine, eigentlich rührende details: zuerst wollten wir unser schild mit der "mörder 301"-aufschrift wie viele andere auch in kumkapi in ein blumenbeet stecken und dort lassen. dann entschied ich aber anders und wir nahmen es durch die ganze stadt wieder mit zurück. und was dann gleich mehrfach passierte, hier nur an einem, dem letzten, beispiel erzählt: auf der gesamten demo wäre niemand auf die idee gekommen, zu fragen, was nun eigentlich diese zahl bedeutet. dann aber, als kleine gruppe, in unserem stammecklokal (und das wirklich nur als ein beispiel), fragte mich zuerst ein kellner, und dann die gesamte belegschaft zusammen: bruder, was heisst denn nun eigentlich diese 301? Nun hängt seit wochen auf dem gehweg gegenüber des lokals ein grosses radikalplakat, das das erklärt, heute morgen sind zig tausend menschen direkt an seinem fenster vorbei gelaufen, an seiner wand direkt hinter meinem rücken lief auf einem riesigen flachbildfernseher CNN Türkiye. ce qui veut dire que: es gibt noch etwas, das genauso schlimm ist, wie schlechte gesetze - wenn leute nämlich aus gewohnheit tatsächlich meinen, so lange es sie nicht betrifft, betrifft es sie auch nicht.
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