Montag, 5. Februar 2007

"in der bar". mir ist übel. wirklich.

"Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer."
(michael haneke)

in der geschichte des kinos gibt es bekanntlicherweise eine ganze reihe von filmen, die auf unterschiedlichste weise und unterschiedlich erfolgreich das thema "eben noch war alles gut in der kleinen heilen welt, da bricht von außen ganz unerwartet unvorstellbar brutale gewalt ein" behandeln. die liste reicht von hanekes funny games über cronenbergs a history of violence zu truman capote bzw in cold blood schon davor oder jüngst detlev bucks knallhart, und würde man die fokussierung nur ein klein wenig erweitern, käme man mühelos zur mutter aller jugendistgewalttätigundpfeiftsicheinlieddazu-filme: a clockwork orange, nicht wahr? da sind wir dann auch schon bei dem, was kult ist. ein muss, und wenn du den nicht gesehen hast, na dann aber.
die liste wurde gerade diese woche um einen film erweitert übrigens: sein name: barda / in der bar, sein regisseur: serdar akar. heute abend habe ich ihn mir in begleitung ansehen.
die geschichte ist schnell erzählt: am beginn des films lernt man eine gruppe von freunden kennen (4 heterosexuelle, wieso erwähne ich das, pärchen, die man alle der istanbuler eher gehobenen mittelschichtsjugend zuordnen würde): eines der mädchen wird schwanger, das ist aber kein problem, denn die gemeinsame heirat aus liebe zueinander ist schon geplant, sowie auch ein urlaub mit den freunden auf einem segelboot irgendwo in der ägäis. das ganze wird ausführlich thematisiert - der zuschauer, also ich, reagiert zwischen genervt und fast schon neidisch ob dieser kuscheligen perfektion: bewusst würden diese menschen nie irgendjemand etwas antun, sie kämen gar nicht auf die idee -, um schliesslich nach einer ordentlich langen szene auf einem rockkonzert, die die weltoffene amüsierwilligkeit der clique unterstreicht, im barbereich des clubs zu enden. es ist spät, unsere freunde sind die letzten abgesehen vom barkeeper, und bei all dem, was nun folgt, merkt man schnell: auch sie hätten, bitte, früher gehen sollen: eine gruppe junger burschen steigt die treppe herunter, die klassischen verlierer der gesellschaft. das anschliessende ist nicht mehr schön mit anzusehen, und nicht nur der spoilergefahr wegen muss man das nicht nacherzählen. gezeigt werden (neben dem zu erwartenden: schläge, tritte, schusswaffen und rasierklingen, vergewaltigungen, sowie einem "originellen" fußballspiel mit den schon völlig lädierten freunden) immer wieder zwischengeschnittene szenen der gerichtsverhandlung sowie ein richter, den diese aus der distanz eines alten justizroutiniers aufs wunderbarste kalt lässt.
akar kennt sein metier und genre und hat deshalb auch einen soliden film abgeliefert, an einigen, den brutalsten, stellen schön mit trockenem humor durchsetzt, die moral des films soll sich nicht durch überdeutlichkeit vermitteln. so setzt zb der bestialischste, aber auch abgestumpfeste und älteste der bande vor 'seiner' vergewaltigung eine dicke hornbrille auf, um besser sehen zu können, und ähnelt damit eigentlich nur noch jedem xbeliebigen beamten aus bürobüro. dies in aller ruhe und in großaufnahme und unter ihm die frau, es darf gelacht werden.
der film macht es einem aber insgesamt durchaus nicht leicht: so wird er zum schluss zwar ein "gutes", aber kein happy ende haben. dass man es gerne leichter hätte mit ihm, ist verständlich. dass man auf ventilmomente wartet, wo man eben lacht, auch. und dass man die nach dem ersten gekicher über gebühr sucht. im kino, wir gingen so um halb fünf, für diese zeit ungewöhnlich voll, waren überwiegend sehr junge menschen so um die 16 bis 18, oft mit freundinlichem anhang. der uhrwerkorange-effekt wurde erwartet, erwünscht, und natürlich kann man da nicht zeigen, dass man den film eigentlich auch schockierend findet.
dass meine begleitung noch vor zwei jahren hier mit einer gemeinsamen freundin zusammen gewohnt hat, diese aber dann, da sie in der wohnung von einem jungen mann, der kein geld wollte, überfallen wurde, wobei das schlimmste im letzten moment nur durch panik des eindringlings verhindert wurde, auszog, dass daraufhin die polizei auf den fall mit genau dem selben lahmen interesse reagierte wie der richter in der fiktion, dass diese freundin seitdem auch nicht mehr in istanbul wohnt sondern anderswo arbeitet, das konnte keiner im saal wissen.
deswegen mag es auch für die anwesenden unverständlich oder übertrieben gewirkt haben, als meine begleitung in einem moment plötzlich völlig aufgebracht rief: freunde, was lacht ihr denn bei sowas?

in der türkei gibt es traditionell mitten im film eine antrakt genannte pause und diese wurde ausgerechnet an einer der schlimmsten stellen des filmes mit einer werbung für cremigen nescafe eingeleitet, man könnte von einer metzgermentalität des schnittmeisters sprechen. in der pause war die stimmung sehr gelöst und auch die zwei jungen männer, die noch kurz vorher neben uns gelacht hatten, spendierten nun marlboro für uns: hey bruder, wir hatten's doch nicht böse gemeint. natürlich, das dachte ja auch keiner.

am ende des films verließen wir den saal eher ratlos. leer irgendwie. nicht nur wegen der fünf gewalttäter, sondern wegen dem rundherum, das der film ja auch noch beleuchtet.
es wurde übrigens wieder oft schwuchtel gesagt. und arschhinhalter. aber das tun andere in anderen sprachen ja auch.
und arsch überhaupt, was nun aber nicht wie im deutschen ein drolliges schimpfwort ist, sondern für aggressivsexuelle kontexte reserviert.
"gewalt darstellen als das, was sie ist", sagt michael haneke: unkonsumierbar. aber andererseits publikum braucht man ja auch, und ich weiss noch nicht genau, was der film mehr wollte.
leer irgendwie - in einem solchen zustand ist es meistens am besten, man putzt irgendwas, die küche zum beispiel.
deswegen will ich mich jetzt auch entschuldigen, bevor die ganze arbeit schon vor mir gemacht ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Gewalt als das, was sie ist" - ja, besser hätte man es nicht formulieren können. Ich habe den Film gestern gesehen, und war nicht in der Lage, Stellung zu nehmen, etwas, irgendetwas auch nur im Geringsten kommentieren bzw. analysieren zu können. Die Leere, von der geschrieben wurde, habe ich auch empfunden, gepaart mit Ekel und Abscheu für das, was man so eben erst mitangesehen hat. Heute, war ich umso sprachloser. Ich habe mitbekommen, dass dieser Film weder Fiktion noch irgendein Fake nahe den Hollywoddproduktionen darstellen sollte, sondern einer wahren Begebenheit aus dem Jahre 1997 aus der Türkei abstammt. Die türksichen Nachrichtensender müssen wochenlang davon berichtet haben; leider habe ich kein türkisches Fernsehprogramm, sodass ich es nicht mitbekommen habe. Einer der Jungs, der damals in der Bar Zeuge und Opfer der Greultaten gewesen ist, hat sich dagegen gewehrt, den Film veröffentlichen zu lassen; vergebens. Nach jahrelanger Therapie und dem Wissen, das Erlebnis nie loswerden zu können eher verständlich. Ich weiß nicht, inwiefern man den Film einschätzen kann. Ich habe so etwas im Leben noch nicht gesehen. Es sind Bilder, die man nicht vergisst und nie wieder loswerden kann. Bilder, die sich eingebrannt haben und immer wieder zum Vorschein kommen werden. Erst recht, wenn man erfahren hat, dass es sich vor einigen Jahren genau in dieser Konstellation ergeben haben muss.